Was für die Ohren (und die Nase)

Von am 16 Jun 2016 | An fremden Brettern

Ich saß morgens um neun in einem Radiostudio, habe ein paar Fehleinschätzungen zu den letzten und kommenden Spielen von mir gegeben und den anderen dabei zugehört, wie sie Kluges und Lustiges von sich geben. Außerdem wurde ich Misanthrop genannt, was absolut stimmt (um diese Uhrzeit).

Aber hört selbst:

Obendrein hab ich bei der taz gepöbelt.

#1

Von am 15 Jun 2016 | "Mach ma n Zettel"

Gruppe A
Frankreich – Rumänien 2:1
Albanien – Schweiz 0:1

Wenn Analyse nix bringt, hilft nur noch Psychologie. Dutzende Male habe ich wie ein besoffener Papagei vor mich hingemurmelt: perfektes Tor, perfekter Zeitpunkt, perfekter Schütze. Perfekt, perfekt, perfekt. Leider funktioniert Suggestion bei mir nicht, sonst könnte ich längst fliegen.

Was gut war: Payet mit seinem Zirkusschuß, und Kanté auch, in dessen Ahnengalerie man, forschte man genug, mit Sicherheit einen Rammbock entdecken könnte.

Was nicht so gut war: die Flügel. Frankreich ist ein Pinguin auf Landgang. Die Flügel sind nicht dafür da, wofür sie bei anderen Mannschaften dienen. Bei Frankreich sind sie dazu da, dass von außen jemand in die Mitte laufen kann. Insbesondere Griezmann, der da außen gar nichts mit sich anzufangen wußte. Hin und wieder schaute er unsicher zur Bank, ob ihm nicht demnächst einer was zu lesen bringe.

Und zu Giroud sag ich nix. Das haben glaube ich alle gesehen, trotz des Tores.

Für die Gruppe reichts, danach muss ich in eine Kirche, ein paar Kerzen anzünden.

Glückliche Fügung, dass Schweiz und Albanien bereits am zweiten Tag gegeneinander spielten, werweiß, wie lang uns sonst diese Schmalz- und Schmerzgeschichte sonst begleitet hätte. Das unglückliche Brüderpaar! In verschiedenen Uniformen! ZDF-Zweiteiler! Die Storyline hab ich schon häufiger gehört, allerings war das Setting normalerweise sowas wie der Erste Weltkrieg o.s.ä.

Gruppe B
Wales – Slowakei 2:1
England – Russland 1:1

Wales-Slowakei habe ich nicht gesehen, nur einen kurzen Blick auf die slowakischen Spieler hab ich erhascht. Hinterher habe ich mit viel Vergnügen die teils ungläubigen Gesichter meiner Mitmenschen betrachtet, die das Spiel gesehen haben und sich fragten: Wie kann eine Mannschaft, die Deutschland schlug, von Wales besiegt werden?

England-Russland hingegen war großer Spaß. Wie ein Rudel junger Hunde sprangen die in Weiß da übers Feld, übermütig herumtollend, sich ihrer Kräfte nicht vollends bewußt, immer eine Spur daneben in der Kräftedosierung, aber mit sichtbar Spaß an der ganzen Chose. Und dann kommt da in der letzten Minute so ein Brocken und macht mal alles platt. Ein Spiel wie eine Roadrunner-Folge.

Über Akinfeev und die Tragik des Torhüters steht noch ein bißchen was in der taz.

Gruppe C
Polen – Nordirland 1:0
Deutschland – Ukraine 2:0

Ich weiß nicht, was alle mit Toni Kroos haben. Jaja, sicher, guter Spieler, jaja sicher, Passgenauigkeit und Packing-Wert und all das, aber mal im Ernst: Immer, wenn Kroos gut ist, ist das Spiel sterbensöde. Wenn der Fußball ein Zirkus ist, ist er der Dompteur. Er knallt hier mal mit der Peitsche und zeigt dort mal auf einen Sturm, und Khedira, Müller, Götze, Özil usw. rennen dahin und dorthin. Das hat etwas sehr meditatives, aber ein wenig öfter ein überraschender Pass, ein bisschen Konfetti, irgendein Hoppala! Toni Kroos ist nicht das Herz der Mannschaft, es ist die Herzlungenmaschine.

Die erste Halbzeit konnte ich nicht sehen, sie soll offenbar sehr anders gewesen sein. Hoffentlich kommt das noch häufiger vor, dieses anders.

Wie Nordirland seine Qualifikationsgruppe gewinnen konnte, ist eines jener Rätsel, die nur van Däniken erklären kann. Das ist wahrscheinlich die einzige Mannschaft des turniers, wo die Leute, di schimpfend vor dem Fernseher sitzen und sagen, das könnten sie auch, Recht haben. Andererseits ist es freilich von verzweifelter Schönheit, vierzig Meter vor dem Tor zu einem Fallrückzieher anzusetzen.

Gruppe D
Türkei – Kroatien 0:1
Spanien – Tschechien 1:0

Ich weiß noch, wie ich als Kind mit höxschter Faszination meiner Großmutter beim Stricken zusah. Das ging taktaktaktaktaktaktaktak, und fertig war der Ärmel. Den Kroaten zuzusehen, hatte bisweilen Ähnlichkeiten: Rakitic und Modric, das waren die beiden Nadeln; der Ärmel, das war das Spiel; meine Oma, okay, das Bild geht nicht ganz auf.

Ein Halbfinalist, würde ich meinen.

Spanien offenbar auch, nach den 30 sekunden, die ich ruckelfrei im Stream habe sehen können. Das ganze Spiel lief für mich ungefähr so ab: (40 Sekunden Buffern) – irgendwer sagt Iniesta – (30 Sekunden Buffern) – irgendwer sagt Iniesta – (20 Sekunden Buffern) – irgendwer sagt Morata im Abseits – (Stream bricht ab).

Gruppe E
Irland – Schweden 1:1
Belgien – Italien 0:2

So geht Fußbal. Genau so, wie Italien ihn gespielt hat. Das war absolut beeindruckend, wie sie immer weider genau jene Sorte Pässe spielte, von der sie nicht wussten, ob das jetzt hinhaut oder nicht – nicht so sehr, weil sie ungenau gespielt waren, nein, das war durchaus geplant. Aber Pässe nahe der Unerreichbarkeit fordern von Mitspieler und Gegner alles, sie wollen was von einem. Dass Italien den fantasievollsten Fußball spielt, dem ich bisher bei der EM habe sehen dürfen – …

Irland – Schweden habe ich leider auch nicht sehen können; bemerkenswert allerdings die systemische contradictio in adiecto, die der Fußballjournalismus in der Berichterstattung über Schweden an den Tag legt: selbst wenn man nicht über Ibrahimovic spricht, muss man darüber sprechen, dass man nicht über Ibrahimovic spricht, und spricht also wieder über ihn. Er hat die Fußballberichterstattung gekapert

Gruppe F
Portugal – Island 1:1
Österreich – Ungarn 0:2

Die gleiche Einfallslosigkeit, die das Witzegewitter zur Partie Österreich – Ungarn begleiete, zeitigte auch das österreichische Spiel. Österreich ist ein Depp – allerbeste Voraussetzungen, das Spiel von Anfang an im Griff, und irgendwann – seis aus Schluddrigkeit, seis aus Unbeherrschtheit – lassen sie das einfach liegen, wie man versehentlich seine Tasche in der U-Bahn liegen lässt. Es hatte freilich schon etwas ausgesprochen rührendes, wie Ungarn das Nichts, das ihr kreatives Mittelfeld ist, immer wieder zurannte, das Fehlen einer eigenen Kreativität schlicht mit Arbeit kompensierte. Kleinheisler, dieser Teufel! Kann nix, macht davon aber alles mit doppelter Verbissenheit, bis doch irgendwas dabei rumkommt.

Wie war Ronaldo?

Wie gehts hier weiter?

Von am 10 Jun 2016 | Geht auf's Haus!, Kurze

Ich weiß schon, ich hab das Publikum ein wenig verwöhnt die letzten Turniere; zu quasi jedem Spiel quasi mit Abpfiff quasi eine Einschätzung, die Zusammenfassung zu nennen wohl doch etwas hochgegriffen scheint.

Zuerst die schlechte Nachricht: das wird dieses Mal in der Form nicht möglich sein. Ich arbeite im Schichtdienst und – hier lautes Weinen und Wehgeklage dazudenken – kann noch nicht einmal jedes Spiel sehen.

Jetzt die gute Nachricht: Natürlich habe ich mir für dieses Turnier Urlaub genommen, ich bin ja bekloppt. Außerdem habe ich versucht, so viel wie möglich Frühdienste abzubekommen, um sicherzugehen, dass ich am Ende der vier Wochen absolut runtergerockt bin und eines meiner Augen immerzu den Schädelinnenraum wird begutachten können.

Allerdings hat das nicht immer zu meiner vollen Zufriedenheit geklaptt. Das betrifft vor allem das komplette erste Wochenende; danach wird es hier so weitergehen, wie es sich gehört.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

PS: Meine Spam-Detektei spinnt. Die setzt gerade erstmal alle Kommentare zurück. Ich überprüfe das mehrfach täglich, aber gerade wenn ich schlafe oder so, kann es schon sein, dass ein Kommentar längere Zeit im Maschinenraum verschwindet.

Zidane schweigt – Eine Art Vorwort

Von am 10 Jun 2016 | Geht auf's Haus!

Zidane

Zidane schweigt“ also. So heißt es, das neue Buch. Gerade noch rechtzeitig zur EM. Um in einem ganz schiefen Bild zu sprechen: In der 87. Minute der Vorbereitung.

Ich hoffe, das bleibt das einzig schiefe Bild in Zusammenhang mit „Zidane schweigt“.

Es geht, einerseits, um Fußball. Um die französische Nationalmannschaft seit 1998. Um einige ihrer Ikonen – Vieira, Henry, Ribéry – um ihre Triumphe und um ihre Desaster. Um den Kopfstoß natürlich, und um den Spielerstreik. Um die Frage, warum verdammt noch eins Zidane eigentlich als großer Fußballer gilt.

Es geht, andererseits, um noch etwas anderes: was das alles bedeutet. Nicht in dem Sinn, welche metaphysischen Momente durch das Spiel Djorkaeffs oder Desaillys aufgedeckt werden können. Sondern in dem Sinn, welche Bedeutung man in diese verschiedenen Mannschaften hineingelegt hat. Warum es keine gute Idee war, anhand des Fußballs den endgültigen Triumph eines multikulturellen Frankreichs auszurufen; warum diese Mannschaften immer schillernd waren, immer für verschiedene gesellschaftliche Gruppen unterschiedliches bedeuteten, und inwiefern das Sinnbild ist für diese heutige, zerrissene französische Gesellschaft ist, die ihrem eigenen Scheitern nahe ist.

Und es geht, drittens, um den unwahrscheinlichen Aufstieg des Front National. Wie hat dieser parlamentarische Arm einer zwar gefährlichen, aber politisch unbedeutenden, rechtsterroristischen Bewegung es geschafft, zu einer der wichtigsten rechtsextremen Parteien Europas zu werden? Warum hat ihm keiner der vielen Skandale das Genick gebrochen? Was verdammt nochmal ist da los?

Ich versuche, das nachzuzeichnen, ohne unterkomplex zu werden, und gleichzeitig ohne auszufasern. Das ist ein Drahtseilakt. Manches habe ich in dem Buch nicht ausformuliert, manchmal mag ich wohl Schwerpunkte gewählt haben, die andere mit der Materie Vertraute anders gesetzt hätten. Statt flachen Übergängen hab ich eigentlich immer in die Schnittstelle gespielt.

Dieser Text ist nicht in sich geschloßen, so ist er nicht gebaut. Er ist eine Abfolge von Szenen, Eindrücken, Beschreibungen und Thesen; das kann auch anders nicht sein, man kann das Thema nicht auf ein paar Seiten erschöpfend behandeln. Zumindest ein paar Sachen werden hier im Blog noch angesprochen werden über die nächste Zeit.

Genau das soll es sein: eine Einladung, sich zu befassen mit dem Land, mit der Materie, mit dem Fußball auch. Nicht zuletzt mit dem Fußball.

An der Stelle sei noch ausdrücklich all jenen gedankt, die mir auf die ein oder andere Art bei diesem Buch geholfen haben, und ohne die das Buch entweder überhaupt nicht möglich oder jedenfalls bei weitem nicht das geworden wäre, was es jetzt ist. Sascha Großmann und Christina Koch, Martin Lafréchoux und Nico Roicke, den Damen und Herren vom Salon Böhle und Nele Solf, Lutz Wengorz und all den ganzen Verbrechern um Jörg und Kristine, Evi und Christian und der Frau Lektorin da insbesondere Philipp Böhm, der bis zuletzt meine Quengeleien ertragen hat, und ich hoffe wirklich, dass ich niemanden vergessen habe..

Out now.

Von am 08 Jun 2016 | Tresenmonologe

index

Zum Beispiel hier.

Reimt sich auf Bier. Ausgezeichnet.

The idiots guide to the Achtelfinals – So läuft die Vorrunde

Von am 08 Jun 2016 | An fremden Brettern

Gruppe 1

1.Frankreich
2.Schweiz
3.Albanien
4.Rumänien

Die französische Mannschaft hat ihre Fallhöhe die letzten Jahre komplett ausgeschöpft; minderjährige Prostituierte, die jetzt eigene Dessouskollektionen herausbringen; die Entourage des besten Stürmers, die den zweitbesten Mittelfeldspieler mit einem Sexvideo erpressen; Rücktritte, Fehden, Ausschlüsse, Mittelfinger am laufenden Band. Wahrscheinlich wird man ihnen als Mannschaftsquartier eine Raumstation bauen, um sie so von den Medien zu schützen.

Dass sie bequem am Spazierstock durch die Gruppe schlendern werden, liegt nicht an ihnen, sondern an den Gegnern; die sagenhaft dröge Schweiz, über die man nur deswegen so viel lesen wird, weil sie zu über hundert Prozent aus Bundesligaspielern besteht, und die mit 4 Punkten und 1:1 Toren der mittelmäßigste Tabellenzweite der EM werden wird. Das kleine Albanien, das wohl nur mit dieser einen Taktik Erfolg haben wird: Ball raus, Stürmer fällt um, Freistoß, Bumm. Klingt wie der Refrain eines Ballermannhit, wird mit Sicherheit auch so aussehen. Und Rumänien, das seit Jahren schon spielt wie Tofuschnitzel: sieht aus wie Fußball, schmeckt aber nach Pappe.

Gruppe 2

1.England
2.Wales
3.Russland
4.Slowakei

Ich habe schon einige EM-Vorschauen geschrieben, und jedesmal kam England auf dem Papier besser weg, als die schnöde Realität es später zugelassen hat. Englands konkurrenzfähiger Kader ist wie die Lieder am 23. Dezember: man singt darüber, das morgen der Weihnachtsmann kommt, freut sich wie bolle und trinkt noch einen, und am nächsten Abend stellt man fest: den gibt’s ja gar nicht. Aber schön gesungen hat man. Fast so schön wie die Iren.

Das lustige Wales hat ein Prolltatoo auf der Flagge, das passt hervorragend zu ihrem Verteidigungsstil, der irgendwo zwischen Wirtshausschlägerei und Klammersackpudern firmiert. Russland ist die Wundertüte der Gruppe, wenn allerdings Fabio Capello auf einer Wundertüte draufsteht, sind sehr oft nur tote Mücken drin. Die Slowakei darf auf großer Bühne dreimal tapfer sein, Frankreichs Friseure freuen sich schon sehr auf Marek Hamsik.

Gruppe 3

1.Deutschland
2.Polen
3.Nordirland
4.Ukraine

Ja gut, äh, also ich sag mal. Seit 2006 ist das schlimmste an Spielen mit deutscher Beteiligung das Kommentatoren-, Moderatoren- und Ventilatorengebrabbel drumherum. Oli Kahn wird seine Lernfortschritte in puncto deutscher Sprache präsentieren dürfen, und Mehmet Scholl wird aufpassen, dass er nichts allzu wahres über Mario Gomez sagt. Holger Stanislawski spielt den Laptroptrainer, seit 100 Prozent Meyer fragt man sich ja ohnehin, warum das ein Ausbildungsberuf ist.

Fußballerisch ist folgendes zu sagen: Özil wie weiland Netzer in die Innenverteidigung zu ziehen, wird der Geniestreich sein, der Nordirland und die Ukraine knackt. Das reicht für den Gruppensieg.

Polen spielt wie ein Schwarzwaldhaus: Solide mit ausgezeichneter Aussicht. Aber sie singen halt nicht in den Straßen, es ist mehr Bruckner als Mozart, es rummst bisweilen, es fließt nicht so elegant. Manchmal, wenn ich Polen sehe, denke ich, die Mannschaft braucht keinen Trainer, sie braucht einen Tanzlehrer.

Wer Spaß an Darmstadt hatte, wird Nordirland lieben. Da dachte der Gegner auch allzuoft: theoretisch kann man diesen oder jenen Paß spielen, aber die können das nicht, da muss ich nicht hin. Und dann konnten sie es nicht. Außerdem: Eckbälle. Eckbälle, Eckbälle, Eckbälle. Nordirlands Trainingseinheiten stell ich mir so öde vor wie den Schlagermove.

Ich weiß gar nicht, ob die Ukraine in der Qualifikation auch nur einen erfolgreichen Torabschluß innerhalb des Sechzehners hatte. Mir kommts so vor, als bestünde der Plan darin, Yarmolenko und Konoplyanka aus 20 Metern draufhalten zu lassen und dann mal sehen, was passiert. Wie Eishockey, hinten checken sie halt weg, wo sie rankommen (mittelmäßig viel).

Gruppe 4

1.Spanien
2.Türkei
3.Kroatien
4.Tschechien

Die spanische Fußballkultur hat sich etwas festgefummelt. Für die Gruppe reichts, aber in naher Vergangenheit sah die Spielanlage aus wie ein Stuhlkreis einer Selbsthilfegruppe, wo in der Vorstellungsrunde jeder jedem den Ball zuwerfen darf: jetzt bist Du mal dran. Und wenn dann einer dazwischenhaut, sind alle getriggert.

Die Türkei, noch so ne Wundertüte. Der reine Borderline-Fußball. Kann kraft Begeisterung jeden schlagen, ziemlich oft aber auch sich selbst. In der Gruppe kommt ihnen zugute, dass sie weiß Gott keine Favoriten sind. Wenn sie das erste Spiel gegen Kroatien gewinnen, wird’s lustig.

Seit Ivica Olic nicht mehr ist, kann ich mit den Kroaten nichts anfangen. Mario Mandzukic, dieser dummdreiste, Mensch gewordene Vorschlaghammer, der eitle Perisic, dem bei jedem Übersteiger seine Selbstherrlichkeit aus den Hüften wackelt; das können auch Modric und Rakitic nicht retten, die bei ihren Clubs jeweils für das Realitätsprinzip stehen zwischen lauter Zauberkünstlern; quasi die Manager der Revue sind, die andere dann aufführen.

Tschechien ist auch dabei.

Gruppe 5

1.Belgien
2.Schweden
3.Italien
4.Irland

Belgien ist ein Saab: Scheißesolide, aber glamourlos. Wäre ihr Spielstil eine Sprache, es gäbe keine Relativsätze, Adjektive nur an Sonntagen. Sie leben mehr von den Fehlern der anderen als von eigenen Verdiensten, was absolut okay ist für einen Viertelfinalisten.

Es ist bei Strafe verboten, über Schweden zu schreiben, ohne Ibrahimovic zu nennen. Der bekannteste nach Schwede nach Gustav Adolf hat mal über seinen norwegischen Kollegen Carew gesagt: Was der mit dem Ball kann, kann ich mit einer Orange. Einer der schönsten Disse der Fußballgeschichte.

Italien, da lege ich mich fest, wird bester Gruppendritter, gewinnt dann alle Spiele in der Nachspielzeit und feiert einen furiosen Finalsieg gegen wenauchimmer. Bloß, um die Franzosen zu ärgern, für die Italien das Holland Deutschlands ist.

Irland reist mit dem schönsten Männerchor der Welt an. Das einzige Land, bei dessen Spiele die Handyaufnahmen aus der Kurve mehr taugen als die Spielzusammenschnitte hinterher.

Gruppe 6

1.Portugal
2.Österreich
3.Island
4.Ungarn

Portugal wird glänzen, wie so oft, wegen des Gels in der Haare seines Mittelfelds, aber auch wegen der wundervollen Heimtrikots. Die Auswärtstrikots in türkisgrün hingegen sehen aus wie hingeschimmelt, Licht und Schatten sozusagen, das ist doch eine wunderbare Metapher für den portugiesischen Fußball: Im Normalfall kleidsam und elegant, in der Ausnahme ein Autounfall. Kann man nicht wegsehen,

Österreich, die Hoppelhasen in Ernst-Happel-Hosen! Hat in der Quali teils zauberschönen Fußball gespielt. Kann aber auch beißenkratzenkämpfen und haben einen Trainer, der ein Wissender ist. Der Spielt, Hand in der Hose, nicht Taschenbillard, der spielt Säckelschach, so schlau ist der.

Island hat all meinen Respekt, das sage ich vorsorglich, aus rein politischen Gründen, denn wenn das so weiter geht mit dem Rechtsruck in Europa, ist das bald das einzige Land, in dem es vorstellbar ist zu leben. Aus dem entgegengesetzten Grund würde ich gerne sehr viel über Ungarn schreiben wollen, aber mein Anwalt hat gesagt, das ginge so nicht. Null Punkte!

EM-ESC

Von am 07 Jun 2016 | Kurze

Okay, also wenn EM-Hymnen so aussehen, kann ich damit leben.

Ich weiß bei Kazim Akboga immer nicht, ob ich das groß oder Quatsch oder großen Quatsch finde. Aber ich hör mir seine Sachen mindestens siebenmal am Stück an, wenn was neues kommt, wahrscheinlich also letzteres.

Überhaupt fände ich eine Art Sampler mit alternativer EM-Musik ganz gut. Egal, ob das jetzt fantastische Musik ist oder Schwielen in den Ohren macht: Hauptsache anders als diese verschlagerten Bumbum-Tötörö-Scheiße, die einem sonst so entgegengedengelt wird.

Die Pfosten von Saint-Étienne

Von am 06 Jun 2016 | Geht auf's Haus!

Kultur kommt nur von Verlierern und aus der Niederlage. Das produziert Kultur. Die Sieger haben noch nie Kultur produziert. (Heiner Müller)

Man mag es kaum glauben, aber Saint-Étienne hatte einmal eine große Mannschaft. Ende der 60er bis Ende der 70er waren sie das Sahnehäubchen auf dem bitteren Kaffee der Ligue 1. Michel Platini spielte da, Christian Lopez spielte da, Jacques Santini spielte da, Salif Keita spielte da. Und natürlich auch Johnny Rep, über den sie noch heute wunderbare Lieder singen.

Es werden auch hier einige wissen, dass Saint-Étienne es einst ins Landesmeisterpokalfinale geschafft hat, obwohl es bereits ein paar Jahre her ist: 1976 war das, und es ging gegen die Bayern. Das Finale fand in Glasgow statt, und in der 57. Minute kassierte Saint-Étienne den wahrscheinlich dämlichsten Eckballgegentreffer, seit es Eckballgegentreffer gibt. Es sollte das einzige Tor bleiben.

Und das alles nur wegen dieser vermaledeiten Pfosten. Es ist nämlich so: Saint-Étienne war durchaus sehr gefährlich, sie waren keineswegs die unterlegene Mannschaft. Sie schoßen mehrfach aufs Tor, und zweimal trafen sie die Latte.

Pech, ja.

Doppelt Pech natürlich, dass diese vermaledeiten Latte damals nicht rund wie heute, sondern eckig war, eckig wie das Gesicht von Klaus Kinski, eckig wie eine deutsche Schrebergartenhecke, scheißescheißeeckig eben.

Wären sie rund gewesen, wär der Ball nämlich ins Tor gesprungen. Ihr glaubt mir das nicht? Seht selbst:


Und hier der (kaum tendenziöse) Nachrichtenbeitrag:

Aber nein, die verfluchte Latte musste ja eckig sein. Und so verlor jene grandiose Mannschaft dieses Finale.

Man kann über französische Mannschaften viel schlechtes sagen, völlig zu recht, aber eines wird man anerkennen müssen: In der Niederlage beweisen sie oft Größe. Saint-Étienne wurde von tausenden Fans auf den Champs Elysées empfangen. Fußball, bis dahin eine Nischensportart, erlebte einen gewaltigen Hype, und vorneweg trieb es Saint-Étienne, den neuen Club der Nation. Tausende bekannten sich plötzlich dazu, Stéphanois zu sein, so heißen die Fans von Saint-Étienne. Der Club hätte das Bayern München Frankreichs werden können.

Aber nein. Aber nein. Stattdessen gewann Saint-Étienne noch hier und da einen Titel, bis Anfang der 80er gar nichts mehr ging, und man 1984 in die zweite Liga abstieg.

Seither haben sie gewonnen: einen Ligapokal. 2013.

Die eckige Latte – im Volksmund die eckigen Pfosten – sind ein Mythos. Es gibt Restaurants, die sich danach benannt haben, die größte Fanseite heißt poteaux-carrés, und es ist auch ein regionales Sprichwort geworden, für den Fall, dass wieder gar nix funktioniert, wie es sollte. Ein geläufiges Sprichwort, denn das gar nichts funktioniert wie es sollte, ist in Frankreich nicht gerade selten.

Es gibt sie natürlich trotzdem noch, die großen Momente der Vereinsgeschichte. Wichtiger als der Sieg im Ligapokal war ein Ereignis im gleichen Jahr, als das Vereinsmuseum beinah fertiggestellt war. Der AS Saint-Étienne hat die Pfosten gekauft. Die originalen, von damals.

Niederlagen feiern, als wären es Siege, und was einen niederzwang, mit Stolz tragen. Das ist eine Sorte Pathos, die rührend ist, hingegen Triumphe immer schal und schnöde sind. Ein Sieg ist eine gute Pointe, aber nur aus Niederlagen kann man Geschichten machen.

Zu Lebzeiten

Von am 26 Mai 2016 | An fremden Brettern

Gestern, in einer Kreuzberger Kneipe, wir saßen zusammen und schmiedeten Pläne, kam ein Strassenfegerverkäufer vorbei, ich sah ihn kaum an, er sagte, er sei gerade obdachlos und ob wir nicht… da unterbrach er sich und sagte zögernd „Fred?“ Ich sah ihn an und erkannte ihn immer noch nicht, er streifte sich seine Kapuze vom Kopf und sagte: „Weißte noch?“ Ja, da fiel es mir ein, ich wußte noch, verdammt, das war der N., aus einer meiner alten Kneipen, ich saß recht oft mit ihm am Tresen, schlau war er und hatte viel gelesen, wußte einiges über Hegel und Bruckner, Brahms auch, er liebte romantische Klaviermusik, von Fußball allerdings hatte er fürwahr überhaupt keine Ahnung; ich hatte mich schon hin und wieder gefragt, wie es ihm geht, und jetzt sah ich es: nicht gut. Heroin, wahrscheinlich, das war schon damals das Problem, das hat ihn Beziehung und Job gekostet, jetzt, sagte er, sei er wohnungslos, aber es ginge wieder aufwärts, sagte er, ich hätte das wirklich gern geglaubt. Ich gab ihm 20 Euro, und ich weiß nicht, war das eine nette Geste oder eine ungeduldige, wie ein Wedeln mit der Hand, es war schiere Hilflosigkeit, ich habe keine Ahnung, was man da macht. Hab ich ihm geholfen oder seinen Untergang beschleunigt, ich bin nicht in der Position zu helfen, man verachtet die Schwachen ja doch auch deswegen, weil man selbst vor ihnen so hilflos ist, weil sie einem die eigene Machtlosigkeit spiegeln, die eigene Vergänglichkeit auch, ich sah ihn und dachte: so wird mich auch einmal wer ansehen, bald schon, und es gibt nichts, gar nichts, was ich dagegen tun kann.

Zum Abschied klopfte ich ihm auf die knochendürre Schulter und wußte nicht was sagen, da sagte er – er! – Das wird schon alles wieder. Okay, sagte ich, okay. Viel Glück, sagte ich, und er: Bis dann.

Trinken gehen (Auszug)

Von am 13 Apr 2016 | An fremden Brettern

Es gibt lange Zeit kein Lachen in der westeuropäischen Malerei, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht. Die Kunst ist bis dahin eine sehr ernsthafte Angelegenheit. Kaum einmal, dass Cupido maliziös lächelnd über die Schulter schielt oder die Mona Lisa dösig zum Betrachter hinübergrient. Es existieren einige seltene Ausnahmen, häufig sind es Faune, Hofnarren oder Liebesgötter, die sich immerhin zu einem herzhaften Glucksen hinreißen lassen.

Warum das Lachen in der westlichen Kunst kaum stattfindet, könnte mehrere Gründe haben: Zum einen ist es sehr schwer abzubilden, wie man bei der Betrachtung der Bamberger Domfassade sehen kann. Dort lacht sowohl die Gruppe der Erlösten als auch die Gruppe der Verdammten, aber beide tragen fratzen- bzw. karrikaturhafte Mienen zur Schau; ähnlich wie rennende Pferde konnte das Lachen erst mit dem Beginn der Fotografie bildlich entschlüsselt und reproduziert werden. Erschwerend hinzu kam, dass das Lachen im Christentum als schlecht galt: In der Bibel wird kaum gelacht, das frühe Mittelalter zählt das Lachen sogar zu den Lastern, entsprechend gilt in Wolfram von Eschenbachs Parzival der Verzicht auf das Lachen als königliche Tugend.

Aber es gibt auch eine andere Welt, sie tut sich in der niederländischen Wirtshausmalerei ab dem 15. Jahrhundert auf, der eine Art perspektivisches Lachen zugrundeliegt. In diesen Bildern geht es zu wie, nun ja, auf einem Volksfest. Da wird sich geprügelt und mit dem Messer gestochen, Karten gespielt und über Bänke gefallen, und überall stehen Bierkrüge und Weingläser und Karaffen voller Alkohol. Der Anthropologe Donald E. Brown hat in seiner Liste der menschlichen Universalien als wesentliche Bestandteile der Kultur Musik, Konfliktlösungsstrategien, Sprache, Spiel und „stimmungs- oder bewusstseinsverändernde Techniken und Substanzen“ aufgeführt – ein Portfolio, das sich auch in diesen Bildern findet, ganz besonders bei Frans Hals. Dessen liebevoller Blick auf seine Figuren, er kommt mir ohne Alkohol ganz unmöglich vor.

(Aus: Trinken gehen.)

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