Ist Chile das diesjährige Italien? Es fehlt der Jubel, der charakteristische. Wie klug das Sanchez macht, den mit den Innenrist reinzuschieben, als hätte er in einer Sekunde erkannt, wie die 100 Leute auf der Linie stehen; sehr viele Leute hätten den Vollspann genommen und dann ein Stoßgebet zu Santa Maria; aber das war, weiß Gott, schlau. Intelligenz-Hornisse dafür!

Und Fleißbienchen fürs zweite Tor. Wobei das wahrscheinlich nicht ganz so schwierig war, das Akkordeon der australischen Viererkette zu einer misstönenden Triangel umzugestalten; man muss den überhaupt erstmal dermaßen zentral zentriert wagen, diesen Schuss. Den hält ja sonst jeder. Außer Ryan.

Ich würde jetzt gerne ein Wortspiel mit Saving Private Ryan machen, genauso wie ich gerne mit dem Namen Leckie spielen würde, der heißt wie meine liebste Hauptfigur in The Pacific. Es sind die Namen der Australier, die in mir Krieg assoziieren lassen, da können die gar nix für.

Und das Spiel auch ein bisschen, es hätte ein Scheibenschiessen werden können. Wenn ich die Augen zugemacht habe, war mir Australien die Inkarnation von Hinrundenbraunschweig. Bälle in die Spitze, so präzise wie Luftröhrenschnitte mit der Kugelschreibermine: geht schonmal gut, aber häufig eher nicht. Dass Cahill den Ball reinmachen darf, ist ein Abmahnungsgrund. Aber war das Nachlässigkeit oder Unvermögen? Ich würde nicht wetten wollen, würde aber sagen, Chile ist besser, wenn es den Ball flacher hält als sein Küstengebiet. Am besten, da sind wir wieder bei Italien, das Spiel insgesamt ist unteriridisch; dann taugt Chile am meisten. Wahrscheinlich unterschätzt man sie nach Vorrunden-Australien. Vorrundenaus-Tralien. Ich bin sehr unentschlossen, wie ich diesen bescheuerten Sprachwitz am günstigsten schreibe. Aber ich habe nicht die Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

(Is aber auch gemein, nach so einem Spiel wie Spanien – Niederlande überzeugen zu müssen. Ich erwarte mir von Chile allerdings, dass es insbesondere den Holländern Probleme machen wird.)

Völlig wahnsinnig, wie Chile sich das Spiel in der zweiten Hälfte abnehmen lässt. Wo genau ist Vidal, wo Vargas, wo Mena? Man hätte doch mehr Zeit als vor einem Kinofilm, die Australier halten den Ball doch länger als Jack sich am Bug der Titanic; kassenschlagerlang, aber will man das sehen? Pässe wie Witze aus Two and a half men, nicht lustig, nicht klug, nicht begeisternd oder verblüffend, sondern schlicht verstörend doof, aber effektiv. Kann, was es will, das wäre für den deutschen Onlinejournalismus bereits ein zu großer Anspruch; Australien passt der Anzug. Die machen mehr, als sie können. Das ist immerhin respektabel.

Bei Chile weiß ich nicht; vielleicht können die nicht, was Australien ihnen abverlangte. Ich erinnere mich, was einstmals der Bandname Element of crime in mir ausgelöst hat; ich habe nicht an Lieder über Erdbeereis gedacht. Inzwischen höre ich diese Enttäuschung, da keinen Hardcorepunk erwarten zu dürfen, beim Wort Geheimfavorit durch: aber ehrlich gesagt, man muss nicht dominieren, das ist ein spanisches Missverständnis, Einsatz reicht. Könnte schon sein, das hat man so nicht recht gesehen (aber in Stuttgart gegen den DFB hat sich das angedeutet), dass das eine Mannschaft voller Großkreutze ist; dann könnten sie noch wehtun.

Heut immerhin mir. Mal sehen, wer am Ende früher sagt, es sei ein beau séjour gewesen; auf jeden Fall nicht Poschmann, der ist Fremdsprachenaphasiker. Ist nicht schlimm, nix passiert. Nicht in diesem Spiel.