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Von frederic am 30 Jun 2012 | An fremden Brettern
Balotelli in aller Munde. Als müssten die Feuilletonisten die Hilflosigkeit Holger Badstubers spiegeln, versuchen sie, in semitioschen Schnellschüssen die Jubelpose auszudeuten; ein paar unsortierte Anmerkungen.
Balotelli gehört zur Gattung der Nichtjubler. Für gewöhnlich dreht er einfach ab, wenn er ein Tor geschossen hat, er freut sich nicht besonders darüber. „Wenn ich treffe, juble ich nicht, denn das ist meine Arbeit“, sagt er. „Wenn ein Briefträger die Post zustellt, soll er dann das Jubeln anfangen?“
Das ist eine seltene Einstellung. Heutzutage erwartet man von einem Stürmer beinah, dass er sich nach einem Treffer aufführt wie ein Teenager auf einem Justin Bieber-Konzert. Es gibt nur wenige berühmte Stürmer in den letzten Jahren, die minimalistisch gejubelt haben. Aktuell sind Mario Gomez und Zlatan Ibrahimovic zwei derjenigen, die wenig bis gar nicht ausflippen; ein anderer ist Thierry Henry, der das Jubeln zu einer Kunstform gemacht hat und zwei Figuren in seinem Repertoire hatte, die auf lange Zeit mit seinem Namen verbunden bleiben werden: der gesenkte Blick mit der Hand am Ohr und das inzwischen Denkmal gewordene auf den Knien zur Eckfahne rutschen.
Balotelli am nächsten kommt allerdings ein anderer Franzose, Eric Cantona. Der stand nach Toren häufig, die Arme leicht nach hinten genommen, mit breiter Brust und den Kopf zur Seite gedreht, wie eingefroren da, um die Huldigungen seiner Mitspieler entgegenzunehmen.
Ausdeutungen des Balotelli-Jubels konnte man in der Süddeutschen, der Welt und der taz lesen. Keiner der Exegeten ist auf Cantona gekommen, um Balotelli einzuordnen. Das ist nicht verwunderlich, denn sie haben alle drei etwas anderes im Blick: dass Balotelli schwarz ist. Dass er so gejubelt hat, ist ihnen immer auch Zeichen seines Schwarz-Seins.
Fangen wir mit dem am wenigsten ärgerlichen an: Der andernorts brillante Georg Seeßlen beginnt seinen Artikel mit einigen richtigen, mir allerdings ein wenig zu überdrehten Beobachtungen („Da steht ein Held, zweifellos“). Er betont auch richtigerweise die Individualität, die der Balotelli-Jubel transportiert, dreht sich dann aber ganz unvermittelt um 180°. Statt die Eigenart des Jubels herauszuarbeiten, zeichnet Seeßlen in sechs kurzen Sätzen einen Leidensweg Balotellis voller rassistischer Schmähungen, eine Art Basisbiografie, die als Blaupause für jeden erfolgreichen Einwanderer verwendet werden kann. Und dann:
Er hat das Trikot von sich geworfen, das ihn zur Nummer machte und ihn für eine Nation vereinnahmt, in der es eine große Anzahl von Menschen gibt, die einen Menschen schwarzer Hautfarbe verachten.
Das verwundert dann doch, denn es ist weiß Gott nicht anzunehmen, dass Balotelli das hat ausdrücken wollen. Lange Zeit erzählte der nämlich, dass der glücklichste Tag seines Lebens sein 18. Geburtstag gewesen sei, weil es der Tag war, an dem er die italienische Staatsbürgerschaft erhalten habe. Seeßlen übersieht dabei, dass Balotelli sich immer wieder und immer offensiv zu seinem Italienisch-Sein bekannt hat; für seine These der Unbeugsamkeit gegenüber Italien setzt er sich mit einer Leichtigkeit darüber hinweg, die Balotellis Haltung vollständig konterkariert. Da aber Balotelli farbig ist, muss man seinen bisher größten Triumph auch so ausdeuten.
Ähnlich wie Seeßlen geht Ulf Poschart in der Welt mit dem Jubel um. Balotelli habe sich in ein „Kriegerdenkmal“ verwandelt, schreibt er, und dann:
Mario Balotelli hat mit der Welt eine Rechnung offen, und er lässt sie das jede Sekunde wissen. Seine Frisur ist eine Kriegserklärung und die körperliche Art, mit der er Verteidiger an den Rand des Wahnsinns quält und die giftige Entschlossenheit, mit der er seine Chancen nutzt, sind Teil eines Willens und Ehrgeizes, der sich nicht für die Kategorien bürgerlichen Anstands und europäischer Manieren interessiert.
Ich weiß nicht, wie viele Spiele mit Balotelli Poschart die letzten Jahre über gesehen hat, es können nicht sehr viele gewesen sein. Das Spiel gegen Spanien muss er beispielsweise verpasst oder verdrängt haben, als Balotelli alleine auf dem Weg zum Tor in sein altes Phlegma fiel und sich von Ramos abfangen ließ; aber vielleicht meint er auch mit „giftiger Entschlossenheit“ jene berühmte Szene gegen LA Galaxy, kann ja sein. Balotelli ist ein Spieler, der, wenn die Mannschaft gut spielt, herausragend sein kann; wenn seine Mannschaft aber unter ihren Möglichkeiten bleibt, sich gerne komplett aus dem Spielgeschehen verabschiedet. Er ist auch kein übertrieben körperlicher Spieler, sondern – in bester italienischer Tradition übrigens – ein Intrigant am Ball, der (wenns gut läuft) die kleinen Lücken sucht und findet, einer, der sich seine Chancen nicht erkämpft, sondern wahlweise erspielt oder erlauert. Aber sorum passt das halt nicht zu Poscharts Erzählung vom genialen Wilden, der dem saturierten Europa seine Grenzen aufzeigt. Next exit Exotismus.
Den mit Abstand wirrsten Text zum Thema hat Bernd Graff in die Süddeutsche hineintheoretisiert. Balotellis Pose sei „Urzeit“, sagt Graff, warum, sagt er nicht. Man finde in der Kunstgeschichte den „scheinbar freudlosen Sieger“ des öfteren, schreibt Graff, zum Beispiel bei Breker, aber das schreibt er nicht, das wäre auch ein wenig viel des Guten. Stattdessen kommt er mit drei Beispielen, alle aus Filmen der letzten 15 Jahre, und also „eher Comic und Computerspiel“ entliehen. Beides gängige Formen, in denen sich archaische Kulturen auszudrücken pflegen. Was auch immer Graff uns sagen will, wahrscheinlich, dass er sich mit Michelangelo auskennt, was bleibt, ist: Balotelli ist allein in seinem „traurigen Triumph“, der seelenlos ist und salzsäulenhaft.
Fassen wir zusammen: Seeßlen akzuentiert Balotelli als Farbigen, der Widerstand leistet; Poschart ihn als Wilden, der die Grenzen sprengt; Graff ihn als in der Urzeit Erstarrten. Keiner schafft es, sich von der Hautfarbe Balotellis zu lösen, bei allen bleibt er der Schwarze, der sich nur im Verhältnis zu seiner Hautfarbe deuten lässt.
Ughh !!!
Schwarzer Mann schleudert Speer. Schwarzer Wilder gut gekämpft. Schwarzer Mann jetzt frei sein. Weisser Schreiberling erlauben.
Ughh !!!
Komisch was in dieser Siegerpose hineinspekuliert wird – offenbar ist das Sommerloch tief und dunkelschwarz. :-)
Nachtrag: Man kann übrigens natürlich gleichzeitig über Balotelli und Immigration/Nationalismus in Italien schreiben. Zum Beispiel wie John Foot: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/jun/29/mario-balotelli-black-italian-hero?INTCMP=SRCH
[…] und dabei in seinem Wesen im Vergleich zu seinen sonstigen Einlassungen zur EM so ganz andere Text von @freval über Mario Balotellis Jubelpose und das, was die Feuilletons der Qualitätspresse […]
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[…] Eine Aufarbeitung des absurden Unsinns, der über den Torjubel von Balotelli überall geschrieben wurde. […]
lieber frederic,
schöner beitrag, schön gesammelt und schön geschrieben. aber dann bitte auch selbst rassistisches vokabular vermeiden, auch wenn es gut gemeint war. ;-) stichwort: farbig.
http://www.derbraunemob.info/deutsch/content/content_fragen_faq.htm#f05
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Es ist immer wieder schön klugen Menschen beim denken zu zuschauen.
Die Empörung über die Pose Balotellis war beim national-entspannten Deutschlandfan in den Kneipen allenthalben spürbar und die Bemerkungen entsprechend.
Vielen Dank für den Artikel.
Schöner Beitrag, ja! Beim Seeßlen-Beispiel würde ich jedoch widersprechen wollen: Der semiotischen Lektüre kann es egal sein, ‚was uns der Gesten-Autor damit sagen wollte‘ (das stimmt ja oft nicht überein). Fakt ist doch, dass Balotelli das Nationaltrikot ausgezogen, stattdessen seine Haut und seine Muskeln präsentiert und damit absichtsvoll und mit sichtlichem Genuss die Regeln übertreten hat (die gelbe Karte folgte umgehend). Auch behauptet Seeßlen nicht, dass Balotelli mit seinem Italienischsein hadert, sondern dass viele Italiener damit nicht klarkommen, denen Balotelli also zur Feierlichkeit des Tores statt des Nationaltrikots seinen blanken Oberkörper entgegengehalten hat.
Und ergänzen wollte ich unbedingt noch einen Artikel von Spiegel Online, wo man wohl auch irgendwas dazu schreiben wollte und deshalb Verhaltensforscher(!) bemüht hat, um festzustellen: „Balotellis Reaktion war nicht normal.“ (http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/balotelli-pose-des-torjaegers-interessant-fuer-forscher-a-841811.html)
Ja, das ist richtig: Seeßlen muss sich nicht darum kümmern, was Balotelli selbst für gewöhnlich transportiert. In dem Fall sehe ich das aber kritischer, denn Seeßlen bezieht sich explizit auf dessen Biografie und behauptet den Jubel als Selbstermächtigung; was natürlich stark abgeschwächt wird, wenn diese Behauptung im Grunde nur ein Übergriff ist.
Hier noch ein Artikel der ARD http://www.tagesschau.de/ausland/balotelli104.html (letzter Abschnitt). Siehe dazu auch den Kommentar des Autors:
http://meta.tagesschau.de/id/62594/balotelli-im-portraet-stuermer-zwischen-genie-und-wahnsinn#comment-729424
Vielen Dank für die Ergänzung, das ist erschütternd. Ich zitiere hier mal der Vollständigkeit halber:
Ja, da muss man sich natürlich fragen, was als nächstes kommt. Männer mit langen Haaren? Frauen in Hosen? Wir sind dem Untergang nahe!
Tja, ich hätte Balotelli einfach nur für einen egozentrischen Poser mit verminderter persönlicher Reife gehalten…
Also ich musste bei der Szene auch als zweites an „urzeitlich“ denken, direkt nach „ugh, ugh“. Aber das wäre mir bei identischer Pose auch mit Oli Kahn passiert.
Die Pose gleicht nun ein mal einem Gorilla, kurz bevor er sich auf der Brust rumtrommelt.
Dieser Autor scheint des Rassismuses auch nicht gänzlich unverdächtig zu sein, wenn er das „urzeitlich“ eines anderen Autoren gleich mit dunkler Hautfarbe in asoziert.
„Die Pose gleicht nun ein mal einem Gorilla, kurz bevor er sich auf der Brust rumtrommelt.“ Ach, tut sie das (www.youtube.com/watch?v=EAkxix31aJI)?
Ich hoffe das Video aus der gorilla D-Jugend Trainings Sitzung soll jetzt nichts beweisen.
Aber um genau zusein: ich habe wenig Ahnung von Affen aber wenn ich einen verkörpern wollte, der sich auf der Brust rumtrommeln, würde ich mit der Pose von Herrn Balotelli beginnen.
;-)
Ich bin nicht dazu da, Dich zu belehren. Sagen wir es mal so: Jubelnde Fußballspieler sehen selten so aus, als wäre ihre Gestik und Mimik dazu geeignet, bei einem Nachmittagstee bei der Queen zur Verwendung zu kommen (Ausnahme Bendtner). Trotzdem kommen die Affenvergleiche nur bei Balotelli – die, wie das Video beweist, reine Vorurteile sind. Klug wäre es, das zu hinterfragen.
Das ist Oli Kahn – nur in grün
JJPreston:
„Tja, ich hätte Balotelli einfach nur für einen egozentrischen Poser mit verminderter persönlicher Reife gehalten…“
Spricht mir aus der Seele.
Und man darf nie vergessen: „Auch lesbische schwarze Behinderte können scheiße sein!“
Frederic, ich bedanke mich!
Ich habe nichts gegen gewagte Thesen, die entfernte Pole der Beobachtung miteinander kurzschließen, und Fakten, die man aus dem Blick verloren hat, ins Blickfeld rücken, aber es sollen doch bitte Fakten und nicht Hirngespinste sein, die man sich aus dem Hut zaubert, um eigene Vorurteile zu transportieren.
Die Biographie Balotellis und dessen Einstellungen und Meinungen ein wenig zu kennen oder notfalls zu recherchieren – das würde ich von einem gedruckten Kommentar erwarten.
Er ist ja nun wirklich nicht der erste Spieler der sich das Trikot auszieht. Gerade bei Spielen der Nationalmannschaft, wo Gelegenheitszuschauer mal einen Blick in die Fußballgefilde werfen die es selbst nicht besser wissen können ist Akkuratesse gefragt. Wenn 1860 gegen St. Pauli in der 2. Liga spielt und nur eingefleischte Fans zuschauen, dann braucht man den Fans nicht passives Abseits zu erklären – die wissen es im Zwiefel eh besser.
Also nochmals Dank für die sachliche Betrachtung, den informierten Text.
[…] schon leidiges Thema, weil alles dazu schon mal gesagt wurde. Sehr lesenswert hat sich frederic in „Zum blonden Engel“ dazu […]
Womit die (deutschen) Männer wahrscheinlich einfach nicht klarkommen: der Mann hat einen Astralkörper und zeigt ihn demonstrativ vor! Wo kommen wir denn dahin, wenn der einfach ein Tor schießt und dann auch noch um klassen durchtrainierter ist als der durchschnittliche deutsche Fußballschlaumeier??
Kein Wunder, dass sich die Schreiberlinge dann – ihren vermutlich vorhandenen Waschbärbauch leise bedauernd streichelnd – was vom urwüchsigen Wilden zusammenfaseln.
[…] 21/22 Ausdeutungen des Balotelli-Jubels konnte man in der Süddeutschen, der Welt und der taz lesen. Keiner der Exegeten ist auf Cantona gekommen, um Balotelli einzuordnen. Das ist nicht verwunderlich, denn sie haben alle drei etwas anderes im Blick: dass Balotelli schwarz ist. Dass er so gejubelt hat, ist ihnen immer auch Zeichen seines Schwarz-Seins. […]