Die Lektion aus einem Interview, das es vielleicht nicht gab mit einem Mann, den es vielleicht nicht gibt.
Von frederic am 14 Sep 2012 | Tresenmonologe
Man kann sich dieser Tage eine ungefähre Vorstellung darüber verschaffen, was passieren würde, wenn sich tatsächlich ein Bundesliga-Fußballspieler outen würde.
Es beginnt mit einem Interview im Fluter. Adrian Bechthold spricht mit einem „Mann, den es eigentlich nicht geben dürfte“, nämlich einem schwulen undesligastar. Inhaltlich steht nichts drin, was man nicht auch vermuten würde. Neue Einblicke liefert es nicht, anderes zum Thema (Marcus Urban oder Das Schweigen der Männer) gibt da mehr her; aber es ist eben auch nur ein kurzes Interview, kein Buch.
Misstrauisch macht, dass Adrian Bechthold bisher nicht als ausgewiesener Kenner der Materie bekannt ist; misstrauisch macht auch, wie er seinen Begleittext mit Hinterzimmer-Thrill anreichert. Misstrauisch macht auch, dass niemand die Identität des Fußballspielers, der ja doch ein Star sein soll, bestätigen kann. Misstrauisch macht außerdem, dass das Interview beim Fluter erscheint, denn die breite Wirkung war vorauszusehen; deswegen hätten sich, könnte man beweisen, dass es diesen Spieler genau so gibt, mit Sicherheit andere Zeitungen und Magazine dafür interessiert. Hätte man sowas in der Hand, natürlich würde man damit zur FAZ gehen oder zur Süddeutschen, des Geldes und der Reputation wegen; vielleicht auch zu den 11Freunden.
Es gibt also Indizien dafür, dass das Interview gefaked ist. Wie könnte man damit umgehen, das zu überprüfen? Man könnte zum Beispiel dem Autor hinterherrecherchieren: Wie kommt der an diesen Stoff? Gibts Anzeichen dafür, dass er jemanden kennt, vielleicht einen Schulfreund oder so, der ihm soweit vertraut, um das Gespräch und seine Veröffentlichung mit ihm durchzuziehen? Was hat Bechtold bisher so gemacht, war das alles sauber? Es heißt, ein kleiner Kreis von Leuten in der Bundeszentrale für politische Bildung sei eingeweiht, kann das einer – meinetwegen auch ohne zitiert zu werden – bestätigen?
Philip Köster hat sich zu einem anderen Schritt entschlossen; zu einer Textanalyse. Nun teilt Köster das ungute Gefühl, irgendetwas an dem Ding könne nicht ganz stimmen, und er hat Gründe dafür. Einige die ich teile und oben bereits aufgeschrieben habe. Andere, die ich beim besten Willen nicht verstehe.
Köster schreibt, dass der Protagonist sich in Widersprüche verwickelt, dass er manche seiner Aussagen selbst konterkariere; es ist ein Zeichen minderguter Interviewführung, auf diese Widersprüche nicht einzugehen, das stimmt. Aber nicht mehr. Normalerweise geht eine Redaktion dann mit dem Bügeleisen drüber und redigiert alles so lange glatt, bis keine Falte mehr bleibt: ist das ein Kriterium für Glaubwürdigkeit? Das müsste Köster, Chefredakteur eines Magazins, das sich dankenswerterweise immer wieder mir der Flach- und Abgenudeltheit gängiger Fußballinterviews lustig macht, besser wissen. Genauso wie der Vorwurf, dass das ganze Interview nur aus Klischees bestehe. Da fällt mir glatt das Wurstbrot in die Tastatur: Ein Sportlerinterview, das nur aus Klischees besteht! Ich könnte nur überraschter sein, wenn durch mein Küchenfenster Elvis aus einem Ufo grüßen würde.
Köster skandalisiert hier Dinge, die gang und gäbe sind in der Fußballberichterstattung. Und das ist mit Sicherheit etwas, mit dem sich ein Profi, der bisher einigermaßen in Ruhe gelassen wurde, konfrontiert sehen wird, wenn er den Schritt geht sich zu outen. Selbst von Seiten eines aufgeklärten, antiboulevardesken Magazins.
Vielen Dank für die Lektion.
Disclaimer: Im Fluter-Archiv finden sich auch zwei Texte von mir.
„Köster skandalisiert hier Dinge, die gang und gäbe sind in der Fußballberichterstattung. “
Mag sein. Aber das Interview ist eben keine Fußballberichterstattung. Deshalb hinkt dieser Vergleich – oder er ist zumindest bedeutungslos.
Wieso, gehts da nicht um einen Fußballer? In einem Fußball-Medium?
Sorry. Falsch geantwortet. Blame the mobile in a Train
Doch. Aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Es geht ja nicht um den Sport, über den sonst ganz gerne in Klischees berichtet wird. Auch in sog. Interviews. Es ist ein ganz anderes Thema. Deshalb kann man die Klischees, die es in dem Interview gibt, nicht damit erklären, dass im Fußball Klischees in der Berichterstattung die Regel sind.
Doch, kann man: Fußballer haben im Umgang mit den Medien mechanisches Sprechen gelernt. Selbst wenn man mit Lahm über gesellschaftliche Themen spricht, oder, wie die Zeit das ja mal mit Hummels, Schmelzer und noch einem BVBler versucht hat, über gesellschaftliche Themen redet, dann kommen trotzdem nur Worthülsen raus. Warum sollte ein schwuler Fußballer anders mit den Medien reden als andere Fußballer?
Weil er nicht über Fußball redet, sondern über seine sehr sehr persönlichen Probleme als Schwuler in seinem Beruf. Ich bin mir nicht sicher, ob, wenn du z. B. mit Hummels über ein ähnliches, sehr persönliches Ding reden würdest, nicht ein paar Mechanismen außer Kraft gesetzt wären.
Ich denke schon. Aber – alles reine Spekulation. Ich denke halt nicht, dass dieses Interview wie ein normales „Sportlerinterview“ zu lesen ist. Schon allein weil es wohl unter ganz und gar nicht normalen Sportlerinterview-Umständen zu Stande gekommen ist.
Ich finde nicht, dass man davon ausgehen kann oder sogar muss. Nehmen wir der Einfachhaeit halber an, das Interview ist echt: Ist es dann nicht die Entscheidung des Interviewten, wie darüber gesprochen wird? Und wenn er unseren Erwartungen nicht entspricht, dann noch schlimmer: Schreiben wir einem schwulen Fußballprofi vor, wie er über seine Sexualität, über sein Outing zu sprechen hat? Welche Form wir erwarten? Was wir „glauben können“? Ist die Textmaschine Fußballberichterstattung schon so mächtig, dass wir ihr derart und nur bestimmte Formen für Persönliches zulassen? Es wären ja noch ganz andere Deutungen möglich, zum Beispiel: er spricht phrasenhaft und so, wie er es medial geschult darüber, weil er unsicher ist, weil er sich Anfeindungen ausgesetzt sehen wird, weil er Angst hat, damit sein Zwangsouting zu beflügeln. Stell Dir mal vor: Er spricht ganz persönlich, locker und tiefgründig, und fühlt sich dadurch stärker identifizierbar; macht man sich, gerade bei diesem Thema, da nicht angreifbar? Und wenn man diesen Gedanken hat: wie reagiert man dann? Möglicherweise, indem man ins Phrasenhafte fällt. Das hat Köster bei seiner Textanalyse halt einfach mal unterschlagen, wie er eigentlich immer alles unterschlägt, was ihm zu unkösterig ist.
Köster-Bashing? Geschenkt. Darum ging’s mir nicht und wird es mir nie gehen.
Ansonsten: Natürlich ist es die Entscheidung des Interviewten, keine Frage. Habe ich auch nie in Abrede gestellt. Ich spreche ja auch nicht davon, dass ich die Wahrheit gepachtet habe. Und ob das Ding echt ist – ich habe keine Ahnung. Aber an gewissen Stellen habe ich, und hey – jetzt wird’s schmutzig – ähnliche Gedanken wie Köster gehabt.
Was ich nicht gemacht hätte: Diese Gedanken aufgeschrieben und rausgehauen, ohne saubere Recherche. Denn wir beide machen hier gerade das, was du (ich auch) Köster vorwerfen: eine reine Textanalyse.
Nun, nur weil jemand Fußall spielt und gleichzeitig schwul ist, muss er ja nicht der intellektuelle naturbegabte Sprecher vor dem Herren sein. Im übrigen: würde ich unter diesen Bedingungen so ein Interview geben, würde ich mir schon im Vorfeld ein paar Dinge überlegen, die eher von mir weg zeigten als direkt zu mir hin.
Ich mach nochmal den zentralen Unterschied auf: Du glaubst mit Köster, man könnte von der Form auf den Wahrheitsgehalt schließen. Ich glaube in dem konkreten Fall, dass das ein Vorurteil ist.
Ansonsten würde ich Köster nicht vorwerfen, eine Textanalyse zu machen, sondern nur so tut als ob und dadurch eine polemische, einseitige Textanalyse herauskommt.
Anyway. Prost! Ich hoffe, ich komm demnächst mal wieder in euer wunderschönes Stadion. Ich mach jetzt Feierabend, Kommentare werden erst morgen wieder kommentiert.
„Ich mach nochmal den zentralen Unterschied auf: Du glaubst mit Köster, man könnte von der Form auf den Wahrheitsgehalt schließen.“
Falsch. Die Form ist es nicht. Es ist der Inhalt. Und der auch nur an ein, zwei Stellen. Prost.
[…] Entwarnung und grosses Aufatmen in Deutschland: es gibt wohl doch keine homosexuellen Fussballer. […]