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Von frederic am 14 Jun 2012 | Viva Polonia
Portugal – Dänemark 3:2
Was für ein Grottenkick. Zum Glück sind Tore gefallen, sonst wäre ich überhaupt nicht mehr hochgeschreckt und hätte bis 21 Uhr durchgeschlafen. Ansonsten war das ein Spiel wie eine Sarrazin-Rede: stockend vorgetragen, unzusammenhängend im Aufbau, regelmäßig wurde die abwegigste Lösung gesuchet, die leichteste Bälle wurden falsch berechnet. Selbst Cristiano Ronaldo hatte Scheiße am Fuß, und zwar in högschder Konzentration. Nur die elegante Leichtigkeit von Nani entschädigte bisweilen. Und, später, diese als Mikkelsen wiedergeborene kleine Wühlmaus. Mag sein, dass das Spiel einigen trotzdem spannend erschien, aber mich begeistern Tore selten, wenn die Abwehr dasteht, als würde sie gerade auf den Bus warten.
Wobei ich glaube, dass das nicht speziell an Dänemark und Portugal gelegen hat. Die Temperaturen und vor allem die Luftfeuchtigkeit in den Stadien muss teilweise unerträglich sein: immer wieder hören Mannschaften nach einer gewissen Zeit einfach auf mit dem Fußballspielen, aus taktisch kaum zu erklärenden Gründen. Und wie erstaunlich frisch beispielsweise Varela wirkte, als er aufs Feld kam und der Rest sich nur noch mühselig kraft der SChneidezähne von Grasnabe zu Grasnabe zog! Es kann eigentlich nur am Wetter liegen; weswegen es nicht ausreichen wird, Mats Hummels, effektiv zu sein, da braucht es dann schon Effizienz. Und Glück. Fußball bei dieser EM, das ist das Gegenteil von Schach, aber mit würfeln.
Deutschland – Niederlande 2:1
Die Jubelstürme kann man ja überall anderswo nachlesen; deswegen nur kurz: tatsächlich war das sechzig Minuten lang glänzend. Und schön zu sehen, dass der Spitzname „the mannschaft“ nach wie vor Bestand haben darf: wenn einer mal einen weniger guten Tag hat (Khedira, Özil), ist mit Sicherheit ein anderer da, dem der Abend besser liegt (Schweinsteiger, der gestern Gold im Fuß hatte, Müller, dieser Holger Glandorf des Fußballs).
Andererseits hätte ich gerne einen Glastisch, auf den ich meinen Kopf schlagen kann, sobald die Klose/Gomez-Diskussion wieder beginnt. Traumatischer Höhepunkt bisher war, als ich mich schockstarrensteif vorgestern nicht mehr schnell genug von Waldis WM-Studio weggeschaltet bekam und Bettina Tietjen in bester Sozialpädagoginnenmanier vorschlug, man könne doch einfach beide spielen lassen; und dafür auch noch Applaus bekam statt einem Satz heißer Ohren. Ich war gestern kur davor, den Fernseher aus dem Fenster zu werfen, als Rethy nach dem 1:0 faselte, der Gomez sei nicht nur ein Strafraumspieler, und zwar nachdem er sich auf engstem Raum gedreht hat. Im Strafraum. Später öffnete sich das unvermeidliche KMHsche Plattitüdenkabinett, und heraus kam: „Ein Stürmer, der zwei Tore schießt, kann nichts falsch gemacht haben.“
Aber Tore sind keine Argumente, Tore sind Behauptungen, die jeder meint zu verstehen. Gomez ist populär, weil er populistisch spielt. Der Mangel an Fantasie und ästhetischem Empfinden, der aus den Sätzen von Rethy und KMH ebenso spricht wie der Wille zur Verzerrung, macht mich schaudern. Ich bin ein Klose-Anhänger, weil mit ihm das deutsche Spiel kollektiver wird, das heißt: eleganter, überraschender, verzückender. Es wird mit Klose schlicht schöner, es mag aber sein, dass das für einen Titelgewinn bei diesen Wetterverhältnissen nicht effizient genug ist. Vielleicht sehen wir deswegen gerade ein Fußball-Revival der 90er, zu dem ein letztes Aufflackern des Mittelstürmers gehört, denn die Zukunft (und eigentlich schon die Gegenwart) gehört den spielenden Stürmern, Lewandowski, Villa, Rooney, Balotelli, Benzema, ad infinitum.
Das Problem der Gomez/Klose-Kontroverse ist aber auch folgendes: Gomez braucht ein Spielsystem, das ihm sitzt wie eine zweite Haut. Nur dann kann er glänzen. Er bekommt ein fertiges Auto und montiert das Lenkrad, das ist alles: aber es ist der letzte Arbeitsschritt vor Vollendung, weswegen Torschützen immer viel zu viel Beachtung geschenkt wird; dann nämlich wird selbst dem tumbesten Tor klar, dass gerade etwas gelungen ist. Gomez bekommt im Vergleich zu den anderen überdimensioniert viel Aufmerksamkeit für das, was er tut. Dadurch kann man ihn dann schön zum Erlöser stilisieren, und das ist wohl doch so ein urdeutsches Bedürfnis, das Gomez zu befriedigen verspricht: erlöst zu werden.
Volle Zustimmung. Wenn auch das „Knipsen“ wiederum nicht unterschätzt werden darf. Jeder, der mehrmals in einem Spiel an dem Torwart und den Pfosten und damit letztlich an sich selbst gescheitert ist, weiß um den Wert eines Spielers, der vornehmlich verwandelt.
Siehe Ronaldo. Für mich gestern der Match-Loser, und ich bin kein Hater, im Gegenteil für mich nach wie vor de kompletteste Spieler der Welt und Imme knapp hinter Messi der wertvollste. Aber wer zwei solche Situationen nicht veredelt und ansonsten auch wenig bringt, verliert Spiele, wo andere (Gomez) welche gewinnen.
Dass selbst diese Kindergartendebatte um Klose/Gomez für die meisten Kommentatoren zu hoch ist, ja, schade. Weiter.
Das mit dem Knipsen stimmt, wobei man sagen muss: auch (gerade) da entwickelt sich einiges. Dzeko und Cissé sind für meine Begriffe klassische Knipser, die aber noch ein paar Sachen mehr können, nämlich in puncto Übersicht und Ballkontrolle (Dzeko) oder aber Schussstärke und Konterspiel (Cissé).
Ich denke, mit Gomez kann man mit höherer Wahrscheinlichkeit Spiele gewinnen, die gegen ein unterlegenes Mittelfeld gehen; ist das Mittelfeld ähnlich gut oder besser als das eigene, kommen bei ihm keine Bälle mehr an. Dann braucht man einen wie Klose.
Mir fehlen noch ein paar Worte zur holländischen Mannschaft. Also, eigentlich nur eins: Unwillen. Ich den kurzen Phasen unparteiischen Analysewillens war ich schockiert vom holländischen Unwillen. Die wollten das Spiel nicht gewinnen, die wollten nicht ins Viertelfinale kommen. Kein Pressing, keine lekker Kombinationen, nichtmal hinterhältige Fouls. Gar nichts. Van Bommel als Depressive Leader, Hummels kann einen Maradona von ganz hinten bis ganz vorne machen, und Afellay spielt im richtigen Leben angeblich bitte wo? Das verstößt doch gegen die göttliche Ordnung.
Ansonsten: während der deutschen TV-Berichterstattung schäme ich mich zutiefst, dieselbe Muttersprache zu sprechen UND noch Fußballfan zu sein. Das ist so hässlich, so herzlos und macht alles kaputt. Zum Vergleich kann man sich mal die Spielberichte im Guardian durchlesen („These coefficients are calculated by Michel Platini, who pulls the numbers out of the back of his trousers“ — „I didn’t even spot any of Heitinga’s dirty play, being too busy searching the internet for snippets of Dutch prog rock from the 1970s“)
Gomez/Klose: Gomez hat die Haare schöner.
Bis auf einen: van der Vaart. Ich wette, der spielt gegen Portugal auf der 6, statt de Jong. Obwohl van Marwijk ja nicht sehr gern experimentiert.
Jau, van der Vaart muss unbedingt gegen Portugal starten, wenn Holland noch was reißen will. Ohne VDV hatten die fast keine Bindung zwischen Defensive und Offensive. Traumszenario aber wäre ein Doppelrot für van Bommel und Ronaldo wegen gemeinschaftlicher Tätlichkeiten. :)
Oh, und wenn wir hier schon bei Berichterstattung sind: die Lektüre der Leserkommentare auf Zonal Marking macht Spaß. Sind alles nur Laien ohne Seebühne auf Usedom.
Ich glaube, dass Gomez bislang vor allem zu bequem war, sich ins Spiel einzubringen – weil er’s nicht musste. Weil er als Knipser ja ausreichend leistete. Mein Eindruck gestern war: Löw bringt ihn dazu, sich mehr um die Mannschaft zu bemühen. Geht langsam, aber geht. Löw macht das schlau: entweder spielt Gomez nach seinem Wunsch oder er spielt nicht. Insofern ist Klose das perfekte Drohszenario. Und, im Wortsinne, eine sichere Bank.
Nachtrag: bei der BBC stehen unter „Statistiken“ tatsächlich Statistiken wie Ballbesitz, Pässe, Torschüsse. Auf sportschau.de und zdfsport.de steht unter „Statistik“ die Aufstellung.
Aso so unzufrieden ich mit der deutschen Berichterstattung, insbesondere des ZDF, auch bin, das stimmt so nicht. Bei zdfsport findet man für jede Begegnung unter „Teamstatistik“ die von dir genannten Zahlen…
Man könnte den Eindruck bekommen, Gomez würde ständig von allen Medien in den Himmel gelobt. Das Gegenteil ist doch der Fall. Nur jetzt grade mal wieder nicht. Aber wenn es um Gomez geht (und zwar mal ganz abgesehen von der Klose/Gomez-Debatte) werden doch nur noch völlig irrationale Kriterien zur Rechtfertigung von Lob oder Tadel herangezogen.
Er muss „mehr machen“, „mehr laufen“, „sich mehr anbieten“. Gestern hat er das in den Augen der meisten Berichterstatter dann auch plötzlich getan, aber in Wirklichkeit hatte er nur etwas mehr Platz vorne und Deutschland hat als Mannschaft besser gespielt. Gegen Portugal lief er 8,8 km in 79 min, gegen die Niederlande 8,68 km in 71 min. Dass er sich also jetzt angeblich „mehr ins Spiel“ eingebracht hat und er sich dafür vorher „zu bequem war“, ist nichts als ein Gerücht und m. M. n. auf rein subjektive und irrationale Beweggründe zurückzuführen.
Dass Klose die spielstärkere Variante ist und Gomez die dynamischere und torgefährlichere: geschenkt. Die Befürwortung des einen oder anderen ist eine reine Frage von persönlicher Fußballphilosophie.
Wie er jedoch die unverhältnismäßig negative Kritik immer wieder souverän kontert, sich davon eben nicht fertigmachen lässt und weiter regelmäßig Tore schießt, verdient dem Mann menschlich Respekt.
PS: Khedira hatte gestern einen schlechten Tag? Der Mann stand immer richtig, war überall zu finden und hat mit seinen Laufwegen beide Tore mit vorbereitet. Er wird stark unterschätzt durch seine unauffällige Rolle im Team. Auch wenn es tatsächlich nicht sein bestes Spiel war, aber schwach? Ich denke nicht.
Wer weniger gut ins Spiel findet von den beiden, spielt den defensiveren Part. Im letzten Spiel war das SChweinsteiger, diesmal Khedira. „Schwach“ ist vielleicht ein wenig stark, schwächer passt aber.
[…] “Aber Tore sind keine Argumente, Tore sind Behauptungen, die jeder meint zu verstehen. Gomez ist populär, weil er populistisch spielt. Der Mangel an Fantasie und ästhetischem Empfinden, der aus den Sätzen von Rethy und KMH ebenso spricht wie der Wille zur Verzerrung, macht mich schaudern.” Zum Blonden Engel: 6/22 […]