Portugal – Dänemark 3:2

Was für ein Grottenkick. Zum Glück sind Tore gefallen, sonst wäre ich überhaupt nicht mehr hochgeschreckt und hätte bis 21 Uhr durchgeschlafen. Ansonsten war das ein Spiel wie eine Sarrazin-Rede: stockend vorgetragen, unzusammenhängend im Aufbau, regelmäßig wurde die abwegigste Lösung gesuchet, die leichteste Bälle wurden falsch berechnet. Selbst Cristiano Ronaldo hatte Scheiße am Fuß, und zwar in högschder Konzentration. Nur die elegante Leichtigkeit von Nani entschädigte bisweilen. Und, später, diese als Mikkelsen wiedergeborene kleine Wühlmaus. Mag sein, dass das Spiel einigen trotzdem spannend erschien, aber mich begeistern Tore selten, wenn die Abwehr dasteht, als würde sie gerade auf den Bus warten.

Wobei ich glaube, dass das nicht speziell an Dänemark und Portugal gelegen hat. Die Temperaturen und vor allem die Luftfeuchtigkeit in den Stadien muss teilweise unerträglich sein: immer wieder hören Mannschaften nach einer gewissen Zeit einfach auf mit dem Fußballspielen, aus taktisch kaum zu erklärenden Gründen. Und wie erstaunlich frisch beispielsweise Varela wirkte, als er aufs Feld kam und der Rest sich nur noch mühselig kraft der SChneidezähne von Grasnabe zu Grasnabe zog! Es kann eigentlich nur am Wetter liegen; weswegen es nicht ausreichen wird, Mats Hummels, effektiv zu sein, da braucht es dann schon Effizienz. Und Glück. Fußball bei dieser EM, das ist das Gegenteil von Schach, aber mit würfeln.

Deutschland – Niederlande 2:1

Die Jubelstürme kann man ja überall anderswo nachlesen; deswegen nur kurz: tatsächlich war das sechzig Minuten lang glänzend. Und schön zu sehen, dass der Spitzname „the mannschaft“ nach wie vor Bestand haben darf: wenn einer mal einen weniger guten Tag hat (Khedira, Özil), ist mit Sicherheit ein anderer da, dem der Abend besser liegt (Schweinsteiger, der gestern Gold im Fuß hatte, Müller, dieser Holger Glandorf des Fußballs).

Andererseits hätte ich gerne einen Glastisch, auf den ich meinen Kopf schlagen kann, sobald die Klose/Gomez-Diskussion wieder beginnt. Traumatischer Höhepunkt bisher war, als ich mich schockstarrensteif vorgestern nicht mehr schnell genug von Waldis WM-Studio weggeschaltet bekam und Bettina Tietjen in bester Sozialpädagoginnenmanier vorschlug, man könne doch einfach beide spielen lassen; und dafür auch noch Applaus bekam statt einem Satz heißer Ohren. Ich war gestern kur davor, den Fernseher aus dem Fenster zu werfen, als Rethy nach dem 1:0 faselte, der Gomez sei nicht nur ein Strafraumspieler, und zwar nachdem er sich auf engstem Raum gedreht hat. Im Strafraum. Später öffnete sich das unvermeidliche KMHsche Plattitüdenkabinett, und heraus kam: „Ein Stürmer, der zwei Tore schießt, kann nichts falsch gemacht haben.“

Aber Tore sind keine Argumente, Tore sind Behauptungen, die jeder meint zu verstehen. Gomez ist populär, weil er populistisch spielt. Der Mangel an Fantasie und ästhetischem Empfinden, der aus den Sätzen von Rethy und KMH ebenso spricht wie der Wille zur Verzerrung, macht mich schaudern. Ich bin ein Klose-Anhänger, weil mit ihm das deutsche Spiel kollektiver wird, das heißt: eleganter, überraschender, verzückender. Es wird mit Klose schlicht schöner, es mag aber sein, dass das für einen Titelgewinn bei diesen Wetterverhältnissen nicht effizient genug ist. Vielleicht sehen wir deswegen gerade ein Fußball-Revival der 90er, zu dem ein letztes Aufflackern des Mittelstürmers gehört, denn die Zukunft (und eigentlich schon die Gegenwart) gehört den spielenden Stürmern, Lewandowski, Villa, Rooney, Balotelli, Benzema, ad infinitum.

Das Problem der Gomez/Klose-Kontroverse ist aber auch folgendes: Gomez braucht ein Spielsystem, das ihm sitzt wie eine zweite Haut. Nur dann kann er glänzen. Er bekommt ein fertiges Auto und montiert das Lenkrad, das ist alles: aber es ist der letzte Arbeitsschritt vor Vollendung, weswegen Torschützen immer viel zu viel Beachtung geschenkt wird; dann nämlich wird selbst dem tumbesten Tor klar, dass gerade etwas gelungen ist. Gomez bekommt im Vergleich zu den anderen überdimensioniert viel Aufmerksamkeit für das, was er tut. Dadurch kann man ihn dann schön zum Erlöser stilisieren, und das ist wohl doch so ein urdeutsches Bedürfnis, das Gomez zu befriedigen verspricht: erlöst zu werden.