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Von frederic am 18 Jun 2012 | An fremden Brettern
Deutschland – Dänemark 2:1
Gestern nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass Deutschland das Spiel gewinnen wird; mit Verwunderung auf Twitter die allgemeine Verunsicherung mitgeschnitten, die Ungeduld, die Aufregung. Diese allgemeine emotionale Anspannung, die sich offenbar vor allem in Schimpfen, Schwarzmalerei und vorweggenommener Enttäuschung kanalisiert. Ein erstaunlicher Mangel an Selbstbewußtsein, zu dem man sich eine Menge nationalpsychologischen Kram zusammendichten könnte, der aber eher fan-typisch ist: mir geht das ja bei den französischen Spielen ganz ähnlich, wenn auch nicht in dieser Intensität. Vertrauen ist keine Eigenschaft einer einseitigen Hingabe.
Mehmet Scholl hatte in der Halbzeit völlig recht: Das Ergebnis war knapp, aber das Spiel war es nicht. Es gab immer Räume, insbesondere auf den Flügeln, und ich hatte nie den Eindruck, dass die Mannschaft bereits an den Grenzen ihrer Möglichkeiten kratzt. Die stoische Ruhe, mit der der Ausgleich hingenommen wurde, dieses kollektive Schulterzucken, dieses allgemeine „mei, passiert“, war ein deutlicher Hinweis, dass die Spieler das ähnlich sehen; und mit Recht. Man hat alle Spiele dominiert, obwohl Müller sich zwar reinhaut wie Bowle, ihm aber das sonst so treue Glück des Ungelenken zu fehlen scheint; und obwohl Özil fortwährend vom Gegner weggeschlossen wird; und obwohl Podolski zwar jetzt durchaus sein Tor gemacht hat, aber nur in unmittelbarer Strafraumnähe ansprechbar ist.
Was bleibt von der Vorrunde? Zuallererst die Erkenntnis, dass die Nationalmannschaft selbst dann starke Mannschaften dominiert, wenn sie nur durchschnittlich spielt; und ein Achselzucken Richtung Niederlande, mit der dann doch sehr beruhigenden Moral, dass, wenn man planlos destruktiv spielt und verliert, am Ende gar nichts mehr hat, worüber man sich freuen kann.
Nun also Griechenland, die Mannschaft im Turnier mit der größten Moral. Bleibt die drängende Frage, wie oft Löw in der Pressekonferenz von „Charaktertest“ sprechen wird, ich denke, vier Mal sollten reichen.
Absolut genau so gesehen. Die Körpersprache, die Aufteilung, die Defensive, die souveräne Passgenauigkeit, alles sprach für einen Sieg, geduldig herausgespielt.
Was mich fast wahnsinnig gemacht hat: Viele Kommentatoren (live im TV) und auch heute in der Nachberichterstattung= kritisieren zumindest implizit, dass gegen Bendtner der „kleine“ Bender bzw. andere, nicht kopfballstarke Spieler „eingeteilt“ war. Keiner kam auf die Idee, dass man ne Raumdeckung spielt und dass lang eben nicht Hummels oder Badtsuber, die in der Mitte gebraucht werden, stehen. Das ist doch hochnotpeinlich, wirklich. Wann endlich zieht ein kleines bisschen mehr Fußballkompetenz in den Redaktionen ein.
Diese kombinierte Raum-Manndeckung bei Eckbällen ist aber auch schwierig zu versteh… nee, ist sie eigentlich nicht. Ich frag mich auch oft, ob die ziemlich offensichtliche taktische Ahnungslosigkeit (Rethy, KMH, um mal die offensichtlichsten zu nennen) schiere Faulheit ist oder schlichtes Desinteresse. Wobei auch der itv-Kommentator die deutsche Raumdeckung im hinteren Drittel für den Gegentreffer verantwortlich macht, was ich überhaupt nicht achvollziehen kann, weil das inzwischen jeder so verteidigt. Warum allerdings Gomez in der Mitte zugeteilt gewesen ist, das hingegen erschließt sich mir nicht so recht; dass der defensiv nichts auf der Pfanne hat, weiß man ja nun.
Verschwörungstheorie: Sie erzählen absichtlich ahnungslosen Quatsch, damit die Zuschauer doof bleiben, damit sie weiter ihre halbe Kompetenz als Expertentum verkaufen können.
Der Fehler war doch, nach der ersten Version der Variante „Lang auf Bendtner, ab in den 5er“ nicht adäquat reagiert zu haben. Einer (!!) von gefühlt 14 „Experten“ kam heute dann in einem Artikel auf diese Idee. Angeblich sollte Hummels lang gegen Bendtner, das gab Löw dann vor, aber sie haben´s wohl versemmelt.
Was ich mich auch frage: Wie wenig ernst nehmen dann die Spieler die Journaille?
Von älteren Spielern weiß ich, dass sie die Sportpresse durchaus sehr ernst nahmen; allerdings nicht so sehr wegen ihres Know-Hows, sondern wegen ihres Einflusses. Es gab Trainer, die auch nach Boulevard-Noten aufgestellt haben, Neururer zum Beispiel oder Lattek; die Zeiten sind aber seit acht bis zehn Jahren vorbei. Das ist übrigens eine Entwicklung, die man auch Klinsmann zu verdanken hat.
Wichtiger sind die Enthüllungen, die man als Spieler (oder Trainer) fürchten muss, als aktuelles Beispiel die unschöne Babbel-Geschichte, die die Hertha letzte Saison mit in den Abgrund gerissen hat. Wenn man also fürchtet, dass der Boulevard hässliches aus dem eigenen Privatleben ans Licht zerrt, wird man kooperativer und erzählt über die Verfehlungen anderer, was dann wiederum…
Bei Trainersuche und Trainerwahl spielen sie noch eine Rolle (Rehhagel ist sicher nicht wegen seiner enormen taktischen Fähigkeiten zum HErtha-Trainer geworden), aber eine immer kleinere. Auf Nationalmannschaftsniveau gibts eigentlich nur noch einen: die Fähigkeit der Presse, Spieler zu ihrem Nationalmannschaftsdebüt zu schreiben, wo sie dann – wie sich herausstellt – zu schwach sind. Sagen wir: Sascha Riether. Oder damals Patrick Helmes.