Lucien Favre sah entspannt aus. Als würde er am Tresen einer Strandbar stehen und einen alkoholfreien Cocktail trinken, so stand er im ARD-Studio und plauderte mit den Anwesenden. Neben ihm Ewald Lienen, der mit der Brille aussieht, als würde er Modelleisenbahnen sammeln, machte einen gelösten Eindruck; ja gut, man habe halt verloren, aber gegen Gladbach, man wird halt auch nass wenn man ins Meer steigt.

Dann nahm Alexander Bommes die Intonation aus seiner Stimme und sagte, Blick in die Kamera, grabesschwer: schlimme Dinge hätten sich in Osnabrück abgespielt, das Spiel habe abgebrochen werden müssen. Im Hintergrund ein Moment echter Emotion: Man sieht, wie Favre erschrickt, die Augenbrauen hochzieht, sich fragend umsieht und betroffen auf eine Antwort wartet. Daneben steht, der offenbar schon besser informiert ist, Ewald Lienen, der Favre zwei drei Worte sagt und eine wegwerfende Handbewegung macht: naja, die machen gerade wieder ein Fass auf, Du weißt doch, wo Du hier bist. Im Sportjournalismus.

Ich verrate hier mal, was eh schon alle wissen: Ein Feuerzeug hat den Schiedsrichter am Kopf getroffen. Darauf hat der die Partie abgebrochen.

Dann Schnitt auf die Zusammenfassung des Spiels. Es ist interessant, wie die Sportschau das Ereignis zelebriert. Es fängt damit an, dass einem keiner sagt, was passiert, es wird fortwährend nur gemunkelt. „Ein schwarzer, skandalöser Tag“ sei das, und die Fans wissen auch noch nicht, „was ihnen bevorsteht“.

Fantastisch, wie subtil das ist: denn natürlich wissen die Fans nicht, was ihnen bevorsteht, das ist ja der ganze Witz an dieser Sache „Fußballspiel“. Aber indem er nochmal betont, dass nun etwas Unvorhergesehenes passiert, dreht er nochmal am Spannungsregler: selbst für ein Fußballspiel ist das also unvorhersehbar.

Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob der Kommentator weiß, was er so von sich gibt; nach dem Tor stellt er fest, dass schon jetzt das Stadion droht, aus allen Nähten zu platzen; aber warum? Ist es denn tatsächlich überfüllt? Machen die Glücksgefühle die Fans ein Stückchen fetter? Oder wollte er schlicht sagen, dass, Phrasendeutsch, die Emotionen hochkochen, das Stadion bebt, die Stimmung am Siedepunkt ist, also dass sich da ein paar Leute ziemlich dolle freuen?

Aber gut, es liegt vielleicht daran, dass der Mann selbst ein bißchen aufgeregt ist. Schließlich ist unfassbares passiert: die Fangnetze sind eingebrochen, direkt nach dem Tor. Ich weiß nicht, ich glaube, wenn man mich da nicht drauf hingewiesen hätte, hätte ich das gar nicht mitgeschnitten, weil meine ganze Aufmerksamkeit Savran galt – wie jene des Kommentators übrigens. Jetzt aber, als er nochmal darauf hinweist, was da in der Bildperipherie vor sich geht, findet er, das seien „unglaubliche Bilder“, sowas habe er noch nie gesehen.

Mal ganz davon ab, das natürlich jeder, der mehr als zehn Stunden Fußball geschaut hat, „solche Bilder“ schonmal gesehen hat: Das nenne ich mal eine Text-Bild-Schere. Man muss das Material zweimal einspielen, extra darauf hinweisen, was passiert, und dazu sagen, es sei etwas noch nie dagewesenes; ansonsten hätte ich vermutlich nur dagesessen und gedacht: aha, die Fangnetze. Sowas aber auch.

Dann hat sich’s erstmal mit dem Sensationsgehupe. Dafür, das gleich irgendwann unglaubliches passieren soll, läuft die Moderation erstaunlich locker runter: hier mal ein paar Details zu Forsberg und Menga, da mal eine Aufnahme von Lieberknecht als kleiner Ausblick auf das, was die kommende Woche so bringen wird für RB Leipzig.

Was mich dann aber bass erstaunt zurücklässt: Die Vorkommnisse der 70. Minute werden einfach sauber runterkommentiert. Keine Polemik, keine Dramatisierung, kein apokalyptisches Geschrei. Es geht soweit, dass Parallelen gezogen werden zu anderen Spielen; klar, einigermaßen sinnloses Faktenaneinanderreihen, aber nicht bösartig oder tendenziös. Keine Kollektivverurteilung, keine Forderung weitreichender Konsequenzen, bloß am Ende nochmal der – ich bilde mir ein: verschämte – Hinweis, das sei „ein schwarzer Tag für den deutschen Fußball“ gewesen.

Den man aber mit Sicherheit übermorgen wieder vergessen hat; das schönste Bild an diesem Abend war dann die Rückschalte ins Studio. Da standen nur noch Bommes und Scholl. Ich hätte gern gewusst, wann der perplexe Favre und der abgebrühte Lienen den ganzen Zirkus verlassen haben. Ich vermute mal, nachdem ihnen in zwei drei kurzen Sätzen mitgeteilt worden ist, was weiter oben steht: Ein Feuerzeug hat den Schiedsrichter am Kopf getroffen. Darauf hat der die Partie abgebrochen.

Es gibt einen Begriff dafür, wenn jemand eine Aktion überinszeniert, um ein paar Minuten zu schinden: Zeitspiel. Das ist genau das, was die Sportschau gestern gemacht hat. Freilich, das ist nicht dramatisch, nur eine kleine unsportlichkeit. Was das aber mit Zuschauern macht, die die Sportschau beim Wort nehmen, das hat man Favre gestern quasi live angesehen.