Rechtsverlegung
Von frederic am 13 Mrz 2014 | An fremden Brettern, Schlägerei
Ich wünschte sehr, wir hätten ein anderes System als das Gefängnis, um Straftäter zu bestrafen. Ich wünschte sehr, ich wäre zu einem Gerechtigkeitsgefühl in der Lage, wenn der Hoeneß-Prozess zu Ende sein wird. Aber es wird sich sicherlich nicht einstellen.
Es ist so: Genugtuung finde ich grauenhaft. Natürlich ist es absurd, dass ausgerechnet Uli Hoeneß, der so gerne von seiner Moral daherschwadronierte, der immer „den kleinen Mann“ vor Augen hatte, und dem es egal sei, ob er „20, 50 oder 100 Prozent Steuern zahle“. Wie vieles von seinen volksnahen Zitaten inzwischen verdampft ist. Er ist ein moralischer Wichtigtuer, ja, selbstgefällig und aufgeblasen.
Und ja, er steht einer Partei nahe, die fortwährend „die volle Härte des Gesetzes“ zur Anwendung bringen will. Und ja, wenn ich bei einem Hartz4-Antrag eine Zeile vergesse und meine Unterlagen in Kompostschichtung einreiche, wird der Staat nicht zögern, mich trockenzulegen. Und weiß Gott, mir fielen noch dutzende populistische Vergleiche ein, die eventuell sogar nach einer näheren Betrachtung Bestand hätten.
Die Frage ist aber, ob für Steuerhinterzieher das Gefängnis der richtige Ort ist. Und nicht nur für Steuerhinterzieher: in Berlin kann man sogar wegen Schwarzfahren eingelocht werden. Es sind viel zu viele, die in Deutschland im Gefängnis sitzen, und das wäre die Gelegenheit gewesen, auch darüber einmal zu reden.
Ich kann von (beispielsweise) Bernd Riexinger nicht enttäuschter sein als jetzt,
Man sollte sich die ganze Geschichte mal nicht vom Bürger aus ansehen, sondern vom Gefängnis aus, wie Bernd Maehlicke das tut:
Wenn ich mir den Zustand des Strafvollzugs in Deutschland insgesamt anschaue, könnte ich manchmal schreien. Besonders junge Menschen werden oft im Gefängnis erst zu Verbrechern gemacht – und somit zu einem noch größeren Problem für die Gesellschaft. Und Millionen von Euro werden auch noch falsch investiert. All das müsste nicht sein. Es gibt die richtigen Konzepte, es gibt viele gute Leute, die sich auskennen. Aber es gibt einen Zeitgeist, der das nicht zulässt. Da ist in erster Linie die Politik verantwortlich, aber auch die Medien haben einen entscheidenden Anteil.
Ich wünschte, wir hätten eine kreativere Art zu strafen als Leute zusammenzupferchen. Vielleicht würde sich dann bei mir auch mal wieder sowas wie Rechtsempfinden einstellen.
[…] frederic auf ZUM BLONDEN ENGEL: Rechtsverlegung […]
Ohne dass ich für den vielfachen Millionär Ullrich Hoeneß auch irgendeine besondere Empathie empfinden würde: Die Frage, ob für Steuerhinterzieher das Gefängnis der richtige Ort ist, stellte ich mir auch schon. Natürlich sehe ich die Seite, dass Hoeneß, nur weil er Gefahr lief, aufzufliegen, sich selbst anzeigte. Diese Sicht wurde hinreichend durchgekaut. Die andere Seite ist folgende: Was bringt der Freiheitsentzug von Uli Hoeneß der Gesellschaft? Denn: Recht ist für die Gesellschaft da und nicht umgekehrt. Wäre es für die Gesellschaft nicht sinnvoller und ggf. „kontextueller“, müsste Hoeneß die zwei-, drei- oder x-fache der hinterzogenen Steuersumme an gemeinnützige Projekte abdrücken? Je nach Höhe der zurückzuzahlenden Summe könnte dadurch ebenfalls, wie beim Gefängnis eine abschreckende Wirkung erzielt werden. Hoeneß musste nicht nur wegen eines bestimmten Rechtes, das mit Gerechtigkeit wenig Schnittmengen hat, ins Gefängnis, nein, aufgrund seiner Prominenz, weil ganz Deutschland auf diesen Fall blickte, musste er zur Abschreckung für andere, die mit ähnlichen Delikten liebäugeln, zwingend ins Gefängnis. Der sozialneidische Mob forderte Hoeneß` Inhaftierung. Wir brauchen weniger Recht, mehr Gerechtigkeit. Dazu müssen auch Rechtsparagraphen nicht nur als „gottgegeben“ vollzogen, sondern hinterfragt werden. Zudem: Das „Rechtsgehege“ der Justiz ist derart eigen, dass nach dem dritten Reich kein einziger Nazirichter verurteilt wurde. So weit entzieht sich die Jurisdiktion der Selbstreflexion. Adorno meinte in seiner Negativen Dialektik: „Recht ist das Urphänomen irrationaler Rationalität. In ihm wird das formale Äquivalenzprinzip zur Norm, alles schlägt es über denselben Leisten. […] Die Rechtsnormen schneiden das nicht Gedeckte, jede nicht präformierte Erfahrung des Spezifischen um bruchloser Systematik willen ab und erheben dann die instrumentelle Rationalität zu einer zweiten Wirklichkeit sui generis […] Dies Gehege, ideologisch an sich selbst, übt durch die Sanktionen des Rechts als gesellschaftlicher Kontrollinstanz, vollends in der verwalteten Welt, reale Gewalt aus.“
Ich verstehe deinen inneren Disput. Wenn das Gefängnis das höchste und somit einzige Instrument der Bestrafung ist, wirkt ein Steuerhinterzieher neben einem Gewaltverbrecher einfach auch nicht angemessen. Viele Uli-Fans brachten das auch zum Ausdruck „er hat doch keinen umgebracht!“. Aber was ist denn wirklich die Alternative? Geldstrafe? Wie viel Geld müsste man ihm denn aufbürden, um ihn wirklich und spürbar zu bestrafen? Du sagst das „x-fache“ – was ist, wenn ihm auch das x-fache letztendlich nur Peanuts sind, vielleicht weil dieser Betrag zur Not dann auch aus anderen Quellen kommt. Ich sah mal einen Fahrer einer Luxus-Limousine, der einfach mitten in die Fußgängerzone fuhr, dort seinen Wagen zentral abstellte und einkaufen ging. Als er zurückkam nahm er das Parkticket der Ordnungshüter, lächelte und stieg ein.
Es gibt viele Menschen, die meinen sogar, dass man viel öfter zum Freiheitsentzug greifen sollte – eben als Warnschuss. Wenn man mit Geld nicht mehr strafen kann, dann muss man eben sowas machen. Soll man kapitulieren? Oder sich sagen: Wenn man schon nicht strafen kann, dann nimmt man wenigstens das Geld und tut was Gutes damit. Das ist ja der Ansatz der Selbstanzeige und des (gescheiterten) Steuerabkommens gewesen. Aber das ist auch eine Kapitulation vor dem Geld!
Das gesuchte Gerechtigkeitsgefühl kann sich gar nicht einstellen, dazu hat man einfach viel zu viele Faktoren in seinem Kopf: Sympathie, Antipathie zum Täter/Opfer, persönliche Einstellung zu Tat und Schuld – hinterzieht man selbst Steuern im kleinen Umfang wird man mehr Verständnis haben wie der andere, der jeden Cent angibt und dafür blutet. Aber genau dafür haben wir Gesetze und die Justiz. Auch ich bin nicht glücklich über den Ausgang des Falles Uli H. – mir wäre weitere Aufklärung wichtig. Aber gerade weil Uli H. nun tatsächlich einsitzen muss (wenn auch zu kurz für meinen Geschmack in Anbetracht der Tat) habe ich ein Stück den Glauben wieder zurückgefunden: Sie müssen es dann doch, die Großen da oben, eben in den Bau gehen, wenn sie erwischt werden. Immerhin.