Mario Gomez
Von admin am 24 Juni 2013 | Geht auf's Haus!, Stammgäste
Wenn ich zum Karstadt hier ums Eck gehe, denke ich immer an Mario Gomez.
Immer.
Das liegt an der Drehtür. Aktionsradius 5 Meter, kann außerdem nur eine Sache, die aber dafür erstaunlich gut: immer dreht sie sich zu schnell. Keine Oma, die den Karstadt schonmal betreten hat und ein zweites Mal diese Tür nutzt; kein Hund mit Widerristhöhe unter 30 cm, der nicht schon beim Anblick des Kaufhauslogos das hecheln beginnt. Niemand mit Knie-OP, der nicht schon einmal vor lauter Wut gegen die Glastüre getreten hätte.
Ich springe da ein bisschen kurz, Mario Gomez kann mehr als sich drehen. Er ist schnell, kopfballstark, beidfüßig, und wahrscheinlich hat er schon seit Jahren nicht mehr geduscht, denn erstaunlicherweise ist um ihn herum immer Raum. Man könnte Mario Gomez auf eine kleine, verwinkelte Kreuzzung stellen für eine Nacht, danach wäre sie so weitläufig wie der Platz des Himmlischen Friedens. Mario Gomez dehnt den Raum.
Es ist kein Geheimnis, dass ich kein besonders großer Fan von Mario Gomez bin. Es ist zum einen diese lässige Uneleganz, die mich zusammenzucken lässt. Wenn der Ball von Ribéry auf Gomez geht, kommt er mir vor, als würde er während des Passes schrumpfen: das kann doch nicht das gleiche Objekt sein, das sich vom einen so willenlos und hingebungsvoll schmeicheln lässt, und beim anderen plötzlich aussieht wie die Nähnadel in der Hand eines Donnerriesen. Der sie ja trotzdem zu handhaben weiß, klar, aber ich habe keinen Blick für diese angestrengte Könnerschaft, die so überhaupt nicht virtuos wirkt, sondern brachial und ein wenig ungelenk.
Das andere ist: Er ist ein Stürmer, der nur bei Spielzusammenfassungen gut aussieht. Man kann stundenlang Bayern-Material zusammenstellen, wo man ihn schlicht nicht wahrnimmt, wo er nicht stattfindet, und wenn er dann ganz plötzlich auftaucht, ist alles vorbei. Im Grunde ist er, Mario Gomez, Slenderman.
Ich mag den Spielstil nicht, den er einer Mannschaft aufdrückt. Der Fußball unserer Zeit unterscheidet sich von dem der 90er Jahre maßgeblich dadurch, dass Bälle auf den Stürmer nicht mehr Bälle in die Spitze sind. Es gibt Ausnahmen, Freiburg mit Cissé, die hunnenhaften Konterüberfälle Hannovers vor zwei Jahren, aber im Grunde ist ein Stürmer inzwischen auch eine Relaisstation, die aus einem komplizierten Anspiel einen schönen Spielzug machen können soll.
Das ist ja nun gar nicht Gomez Metier, obwohl er sich redlich mühte, auch mal einen Ball abzulegen. Aber seine ganze Technik, sein ganzes Fußballerwesen ist auf den Todesstoß ausgerichtet. Man nennt ihn den Torrero, dabei ist er doch der Puntillero, jener Helfer, der nach von anderen getaner Arbeit dem Stier endgültig den gar ausmacht.
Ich glaube, Gomez ist bei einer schwächeren Mannschaft, die weniger spielerisch dominant sein kann als die Bayern, besser. Warum nicht Florenz, da fehlen ohnehin noch weite Plätze.
„Ich glaube, Gomez ist bei einer schwächeren Mannschaft, die weniger spielerisch dominant sein kann als die Bayern, besser.“
Dem stimme ich zu, auch wenn ich ihn als FCB Fan vermissen werde:
http://derbayernblog.com/2013/06/04/update-der-beste-seit-gerd-muller/
Nun noch die Gretchenfrage: Was soll man mit ihm künftig in der Nationalelf machen?
Da passt der einfach nicht rein. Für das Löwsche System braucht man einen spielenden Stürmer, keinen stehenden. Jetzt, wo Gomez nicht mehr die Bayern-Lobby im Rücken haben wird, hat er eigentlich nur einen Trumpf: es gibt außer Klose keinen mehr. An Kießling kann man fast nicht mehr ernsthaft glauben, da ist ja fast wahrscheinlicher, dass Löw Podolski vorne rein stellt. Ich halte das nicht für unwahrscheinlich in Zeiten, da Sportredaktionen Max Kruse zum Hoffnungsträger hochschreiben. Ein Hauch von Sebescen weht da durchs Land. Wahrscheinlich gehts jetzt langsam Richtung „System ohne Stürmer“.
Auf das System ohne Stürmer bin ich ja gespannt, irgendwie kann ich mir noch nicht vorstellen, wie uns ein Mario Götze zum Sieg schießt. Ob das bis zur WM 2014 was wird…
wer (wie ich oder auch armin veh…) gomez in seinen jahren beim vfb im zusammenspiel mit cacau öfter gesehen hat, weiß, dass da doch ein bisschen mehr vorhanden ist als bälle reinstolpern und rumstehen.
deine argumentation wegen fehlender ästhetik in allen ehren, aber das problem von gomez bei den bayern ist ja eben gerade nicht, dass er der mannschaft seinen spielstil aufdrückt.
eigentlich dachte ich, bei dir gibts auch mal was anderes zu lesen als bei den anderen. aber dass du dann auch noch bei dem gomez-bashing mitmachst (und dich damit letztlich zum hoeneß-erfüllungsgehilfen, der gomez ja letzten sommer schon öffentlich zum abschuss freigegeben hat), wundert mich dann doch bzw. kommt mir ziemlich wohlfeil vor.
aber wenigstens sparst du dir die allgegenwärtigen (und allseits übertriebenen) mandzukic-lobgesänge in diesem text.
cheers, ingo
disclaimer: ich hasse die bayern noch mehr als campino.
Naja, erstens hat mir Gomez noch nie gefallen, auch bei Stuttgart nicht. Sofern ich das richtig erinnere, hat Stuttgart unter Veh meistens 4-4-2 gespielt, und das wahnsinnig schnell nach vorne, beinah Konterfußball; da passt Gomez gut rein, mit seiner Schnelligkeit, seiner Wendigkeit und seiner Beidfüßigkeit. Außerdem ist er extrem gedankenschnell, auch wenn sein Kopf bisweilen eine gute Sekunde weiter ist als seine Beine. Aber erzähl mir da gerne mehr von, ich hab das bestimmt bei weitem nicht so gut im Kopf wie Du.
Davon abgesehen war er danach, sowohl bei Bayern als auch in der Nati, ein Entwicklungshemmer. Das hab ich schon mehrfach über all die Zeit geschrieben, und ich sehe jetzt keinen Grund, davon abzuweichen (dass das so übertrieben viele andere auch schreiben, hab ich jetzt allerdings noch nicht mitbekommen – ich hab eher den Eindruck, Gomez hat immer noch ein sehr gutes Standing in der Presse und im Publikum sowieso).
Da bin ich tatsächlich auch gegenteiliger Meinung. Gomez zu kritisieren ist nach meiner Wahrnehmung mittlerweile etwa so kontrovers wie Kritik an Steffen Simon oder Tom Bartels.
Womit ich dem Hausherren keineswegs nachsagen will, sich am Mainstream zu orientieren – im Gegenteil: ich weiß, dass Du ihn schon lange sehr kritisch siehst und das auch immer wieder deutlich (lesenswert sowieso) zum Ausdruck bringst. Umso schöner, dass nebenbei mit dem „Raumdehner“ ein Begriff herauskommt, den man im heutigen Fußball als besonderes Kompliment interpretieren kann.
Dass ich zu Gomez ganz anders stehe, ist vielleicht auch kein Geheimnis, und es ist vermutlich wie bei 1ng0 ganz wesentlich der Stuttgarter Zeit geschuldet. Ich bin aber des Gomezverteidigens ein wenig müde geworden. Zu gefestigt erscheinen mir die Meinungen, zu gering die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Bild, das die Fans wie die Kritiker von ihm gewonnen haben, nennenswert ändert.
Unabhängig von allem, was ich eben sagte: Schöner Text. Der Drehtüreneinstieg ist wunderbar, das Raumkompliment treffend, die Metamorphose des von Ribéry zu Gomez wandernden Balles großartig. Über die zweite Hälfte müsste man dann wohl wieder eine dieser sachlichen Diskussionen führen, denen ich abgeschworen zu haben glaube.
Kannst Du auf eine Deiner Pro-Gomez-Eilassungen linken? Mich würde das interessieren. Danke!
[…] Mario Gomez – Zum blonden Engel […]
Eine kurze Recherche brachte ein doch eher überraschendes Ergebnis zutage: sehr ausführlich habe ich mich bei mir im Blog noch nie zu Gomez geäußert, zumindest nicht dahingehend, dass ich sein Spiel analysiert hätte. Ich tat das verschiedentlich bei Podcasts oder Ähnlichem, einmal auch in einem fremden, mittlerweile leider geschlossenen Blog, aber bei mir? Da kann ich nur mit ein paar Fragmenten dienen, zum Teil mehr, zum Teil weniger aussagekräftig. (Und vermutlich in Summe ausreichend, den Kommentar technisch als Spam zu klassifizieren.)
EM 2012
Bayern 2011
Abschied Stuttgart 2009
VfB 2008
Und weil ich mich grad schon so narzisstisch verlinke, stelle ich mich mit einem einige Monate alten Fünfzeiler endgültig ins Abseits:
Ich deute mal um, aus Protest
(jene Wortschöpfung scheint mir grotesk):
Trifft wer äußerst verlässlich
– gibt kein schön, gibt kein hässlich –,
so gilt er fortan als gomezk.
Ach ja, der berühmte Fußball der 90er, als Klaus Fischer mit dem Fallrückzieher kurz vor Ende der Verlängerung das 3:3 gegen Frankreich markierte, Rummenigge hat gejubelt, Platini war betröppelt, das war ein Spiel, das waren Spieler.
Ach nee, war ja 82, ihr Kinder habt was verpasst.