Zahlung. Moral.
Von frederic am 07 Mrz 2012 | "Mach ma n Zettel"
Der wahrscheinlich grandioseste Kommentar zur Ehrensold-Debatte von Wulff war im Focus zu lesen:
Es nützt nichts, wie derzeit gern praktiziert, die Verkäuferin ins Feld zu führen, die wegen unrechtmäßig eingelöster Pfandbons ihren Job verloren hat. Auch diese Entscheidung beruht übrigens auf bestehender Rechtslage. Aber der Missstand, den man hier beklagen kann, wird nicht dadurch aufgehoben, dass an anderer Stelle ein Exempel statuiert wird. Derartige Debatten entsprechen Klassenkampftheorien, schüren Neid und führen zu keinem Ergebnis. Wenn man die Diskrepanz zwischen oben und unten thematisieren will, dann muss man nicht die Politiker der arbeitenden Bevölkerung gegenüberstellen, denn sie sind nicht überbezahlt. Wenn, dann gehören die Einkommen von Wirtschaftsgrößen sowie Sport- und Showstars auf den Prüfstand. Sie stehen vielfach in keinem Verhältnis mehr zur erbrachten Leistung und heben sich in bisweilen unmoralischer Dimension von Einkünften fleißig arbeitender Menschen ab.
Man könnte jetzt natürlich fragen, welche „erbrachte Leistung“ von Wulff jetzt honoriert werden soll, aber gut. Warum Fußballspieler so viel verdienen, darauf gibt es drei Antworten: eine differenzierte. Eine undifferrenzierte, von Michael Rumenigge:
Beide Antworten suggerieren, es gäbe sowas wie einen Sinn darin, dass Fußballspieler und Fernsehstars Millionen verdienen, Zeitungsausträger aber nicht. Dabei ist es genau andersrum: Man verdient nicht soviel, wie man wert ist, man ist so viel wert, wie man verdient. Und angesichts dessen kann man jedem alles gegenüberstellen, Politiker gegen Bäckereifachverkäufer, TV-Stars gegen Obdachlose, Fußballspieler gegen Ordner: sobald man aufhört, die Tautologie dieser Wertschöpfung anzuerkennen, ist jede Diskrepanz in den Verdiensten sinnlos und absurd.
was bitte ist an diesem Kommentar grandios?
Der Hinweis auf geltende Recht und Gesetz läuft ins leere, denn in der Diskussion geht es nicht um die juristische Berwertung, sondern um das RechtsEMPFINDEN.
Nur weil etwas gesetzeskonform ist, muss es noch lange nicht mit dem gesunden Menschenverstand und dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden in Einklang stehen.
Nicht ohne Grund ist die Verhältnismäßigkeit gerade auch bei juristischen Bewertungen, ein wichtiges Element.
Und gerade im Hinblick auf diese Verhältnismäßigkeit dreht es dem gesunden Menschenverstand einfach nur den Magen um, wenn auf der einen Seite der Pfandbon“dieb“ die volle Breitseite des Gesetzes abbekommt, während der Präsidentendarsteller die vollen Bezüge einstreicht.
Auch der neidische Blick auf die absurd hohen Einkommen der Sport- und Showstars ist daneben: Sie bieten, was sehr viele sehen wollen. Eine klassische Presigestaltung in einem freien Markt.
Einzig und alleine bei den Wirtschaftsgrößen ist die Kritik berechtigt. Kein einziger angestellter Topmanager hat seine Firma selbst aufgebaut, haftet mit seinem eigenen Vermögen und trifft auch keine einizige Entscheidung ausschließlich selbst und alleine. Das erledigen Stäbe, Gremien, Ausschüsse und jede Entscheidung wird von zig Personen mitgetragen.
Ein Unternehmen wird nicht mehr oder weniger Wert, nur weil eine bestimmte Person im Licht der Öffentlichkeit steht und dort als „Boss“ wahrgenommen wird.
In Sport oder Show hingegen ist es die einzelne Person, mit der alles steht oder fällt.
Daher akzeptiert auch der gesunde Menschenverstand eine absurde-Millionen-Gage für einen Superstar wie Christiano Ronaldo oder meinetwegen einen Michael Schumacher und deshlab akzeptiert derselbe gesunde Menschenverstand absurde Millionengehälter und -abfindungen für Vorstände oder Millionenboni für Investmentzocker eben nicht.
Es mag alles rechtens sein, aber in Ordnung ist es noch lange nicht.
Ich hab die Ironie von „grandios“ per Link nochmal verdeutlicht.
Sobald man übrigens beginnt, dem „freien Markt“ als Ordnungsprinzip zu misstrauen, läuft Deine ganze Argumentation ins Leere. Die besteht ja eigentlich nur darin, zu sagen, dass was der Markt macht, eben sinnvoll aus sicher heraus ist. Ich persönlich zweifle sehr daran, dass ein Menschenverstand gesund ist, der Millionengagen für gerechtfertigt hält.
Es ist, wie so oft im Leben, nicht alles nur schwarz oder weiß.
Wenn ein Künstler oder Sportler durch seine eigene, alleinige Leistung etwas geschaffen oder eine Fähigkeit entwickelt hat, die sehr vielen anderen viel Geld wert ist, dann darf diese Person meinetwegen Millarden verdienen, ohne dass mein Gerechtigkeitsempfinden auch nur kurz zucken würde.
Oder auch ein Erfinder, der in seiner Garage irgendwann mal seine Ideen in die Tat umgesetzt hat und später damit reicher als der liebe Gott wurde.
Hier funktioniert der Markt und es bedarf keinerlei Korrekturen.
Wulff hat nichts geleistet in seinen paar Monaten als Grüßaugust, was auch nur im Ansatz eine lebenslangen Pension, egal in welcher Höhe rechtfertigen würde. Und auch vorher war wenig freier Markt: In den Parteien ist das Prinzip des freien Marktes außer Kraft gesetzt, dort herrscht Korruption, Günstlings- und Vetternwirtschaft und von Transparenz keine Spur. Wie in den Kreisen der sog. Wirtschaftselite, in der sich wenige die Pöstchen zuschachern.
Deshalb ist es meiner Meinung nach sehr wohl wichtig, zunächst die Umstände zu betrachten – unter denen oft die Marktmechanismen außer Kraft gesetzt wurden – und dann zu beurteilen, ob eine Summe oder sonstwas zu rechtfertigen ist und auch dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden genügen kann.
Gerechtigkeit heißt nicht Gleichheit oder Gleichmacherei.
Deine Idee vom Markt ist eine romantische. Es gibt weder in der Kunst noch im Sport die „eigene, alleinige Leistung“, das ist ein Hollywood-Mythos. Es sind auch nicht unbedingt diejenigen, deren Leistung „sehr vielen anderen viel Geld wert ist“, die am Ende mehr verdienen, sondern diejenigen, deren Leistung ein paar wenigen anderen sehr viel Geld wert ist. Usw.
Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der Markt imstande ist, Objektivität herzustellen. Geld ist eine sehr schlechte Metapher für Leistung.