Jermaine Jones: Jeder macht Fehler, da bin ich nicht der Einzige. Ich kann zehn Spieler aufzählen, die auch mal Aussetzer hatten, und alle sind Persönlichkeiten gewesen: Ob nun Effenberg oder Kahn oder Matthäus. Aber bei keinem wird das so hoch gehangen wie bei mir, und das hat mit meinem Background zu tun. Wenn ich ein lieber Kerl wäre wie van Bommel…

11Freunde: Mark van Bommel gilt nicht gerade als lieber Kerl.

Jermaine Jones: Stimmt, er ist auf dem Platz kein lieber Kerl. Da hat er das gleiche Image wie ich. Aber bei ihm kann man die Geschichten danach nicht so hochfahren wie bei mir. Bei ihm kann man nicht sagen: Das kommt alles daher, wie er früher gelebt hat. Bei ihm sagt man eben: Er hat ein gutes Elternhaus – also war es auf dem Platz ein Ausrutscher.

Ich habe gestern Kevin Prince Boateng gesehen. Ihr wisst schon, diesem „drittklassigen Fußballspieler“ (Franz-Josef Wagner, Bild). Bei dem „das rein sportliche Potenzial am Ende allein nicht ausreicht, um Karriere zu machen“ (Matthias Sammer, Oktober 2009). Boateng, der „nicht bekehrbar, sozialisierbar ist – fußballerisch zumindest“ (Marcel Reif). Das „ewig trotzende Kind, dem seine Eltern vergebens die Hände reichen“ (Welt), der „klassischer Under-Achiever“ (Badische Zeitung).

Man muss sich nochmal die ganzen Überschriften von damals in Erinnerung rufen. Die häufigste Herangehensweise ging so: Der Autor zitiert die ganzen Beschimpfungen, die man im Internet so finden konnte, und lässt dabei die rassistischen vorsichtshalber mal weg. Dann schickt er den Text an die Redaktion, die sich dann einen Titel ausdenkt. Dazu veranstaltet sie in der Konferenz den Wettbewerb „Übelste übriggebliebene Beschimpfung“ und packt das dann oben über den Artikel, direkt drunter ein Bild von Boateng. Eine gute Methode, wenn man selbst nicht beschimpfen kann, obwohl man ganz gern würde. Und wenns ohnehin im Artikel zitiert wird, kann man in der Überschrift dem inneren Wagner gern mal Leine lassen. Wer liest schon Artikel mit beschreibenden, emotionslosen Titeln.

Aber nicht mit Boateng, Alter. Da erklärt sich so eine Rüppelage ganz von selbst, der ist ja aus dem Wedding, ein Ghetto-Kid, da muss man nur noch in düsteren Farben ausmalen, wie zerbrochen und kaputt und zerstört der Wedding so ist. Da kann man ja nur zum Soziopathen werden! Während der Bruder, der Jêrome, der ist ja aus Wilmersdorf, und drum ist der auch was anderes. Weiß ja keiner, dass man in Wilmersdorf bestimmt mehr Leute tot auf der Straße zusammenbrechen sieht, angesichts eines Durchschnittsalters im Bezirk knapp unterhalb der achtundneunzig. Ob Herzinfarkt oder Kugelhagel, das ist ja im ERgebnis ohnehin nebensächlich.

Jetzt, wo Boateng eine hervorragende Saison spielt und Leistungsträger bei Milan ist, fällt die Erklärung „Ghetto“ natürlich weg. Anzahl der News-Treffer „Kevin Prince Boateng Ghetto“ Mai 2010: 498. Anzahl der News-Treffer „Kevin Prinz Boateng Ghetto“ letzter Monat: 8, davon die meisten nicht auf Deutsch.

Boateng jetzt also nicht mehr „Staatsfeind Nr. 1“ (Stern, damals); fehlt nur noch, dass wenigstens einer dieser Hobbypsychologen mal in den Wedding fährt und sich da umschaut (es reicht vielleicht auch schon, Heikos Buch dazu zu lesen); wäre ja immerhin möglich, dass dann die Angst vor dem Fremden, vor dem Wedding, vor Boateng ein wenig nachlässt. Dann muss man nicht bei nächstbester Gelegenheit in die Tasten kläffen und sich hinterher dafür schämen.

2014 dann der gleiche Text über Jones und Bonames, falls er mit der US-Nationalmannschaft die WM rockt.