12.08.2011: Dynamo Dresden – Union Berlin
Von frederic am 09 Okt 2011 | An fremden Brettern
Die Strecke von Berlin nach Dresden soll Autobahn sein, sagt das Navigationsgerät, aber das stimmt nicht: vielleicht wird es mal eine Autobahn, momentan ist es größtenteils eine Fußgängerzone. Baustelle folgt auf Baustelle, überall Lastwägen, es reiht sich Auto an Auto. Dreieinhalb Stunden für 180 Kilometer. Man muss Schlange stehen, um in den Osten zu kommen. Hat was.
Im Auto laufen Dynamo-Hymnen, F. nimmt uns mit zum Spiel, Union ist da. F. kommt aus Dresden und ist 88 nach Berlin gezogen, zum Militärdienst. Seither fährt er so oft er kann runter, es sei auch schon schlimmer gewesen mit den Staus, sagt er, da hätte man auch das Fahrrad nehmen können, das wär aufs gleiche rausgekommen.
Während wir im Stau stehen, laufen Dynamo-Hymnen, bemerkenswertes Liedgut. Besonders gut gefällt mir ‚Wir sind Dynamo‘. Da heißt es unter anderem: Große Zeiten kamen und gingen, doch was bleibt ist, das wir singen. Wir singen dieses Lied für die ganze Stadt, für jeden, den der Mut verlassen hat.
Fantastisch. Die meisten Fußballhymnen kokettieren mit dem Stolz auf die eigene Stadt, mit Lokalpatriotismus, Überlegenheitsgetue und provokanten Gesten. Subtext: Wir sind so geil, viel geiler als ihr. Nicht so in Dresden: Zwar singt man auch hier Lieder ‚für die ganze Stadt‘, aber vor allem für die mutlosen, die kaputten, die gebrochenen Leute. Es muss niederschmetternd sein, Dynamo-Fan zu sein.
Vielleicht sind sie deswegen so zurückhaltend in ihrer Identifikation. Man kennt das ja von anderswo: in Dortmund singt man ‚Mein Leben ist der BVB‘, in Schalke ‚der S04‘, in Rostock ist es die Hansa, und hier? ‚Ein Teil des Lebens trägt zwei Farben‘. Ostunderstandment at it’s best.
Vor dem Stadion wieder eine Schlange. Man hat nur zwei von vier Durchgängen geöffnet, vor denen sich die Fans sammeln, alle müssen fein säuberlich abgetastet werden. Die zwei Security-Leute sind so sorgsam wie Philatelisten mit einer blauen Maurizius, man fühlt sich zwar wahrgenommen, aber auf eine sehr unangenehme Art und Weise. Immerhin hat man Zeit, das neue Dresdner Stadion zu bestaunen, groß ist es und sieht von vorne aus, als hätte der Architekt anfangs vorgehabt, ein Multiplex-Kino zu bauen.
In Dresden scheinen kurzgeschorene Haare der Trend zu sein, ‚Moskauer Frühlingsschnitt‘ nennt F. das. Man kann sich ja nicht freimachen von den ganzen Berichten, die Dynamo-Fankurve sei von rechts her unterwandert. F. schaut ein bisschen kritisch, die Frage hat er sicher schon erwartet. Es habe, sagt er, sich schon einiges getan, ob genug oder nicht lässt er offen. Es sei nicht ganz so schlimm, wie man immer sage, er habe sogar einen türkischen Arbeitskollegen, der regelmäßig ins Stadion gehe. Immerhin!
Ich hege ja leise Sympathien für Union, obwohl immer wenn ich sie mir live ansehe, sie untergehen. Gegen Bremen, gegen Fürth und gegen Dresden haben sie sich jeweils vier Treffer gefangen, und S., der mich immer zu Union mitgenommen hat, hat schon Stadionverbot beantragt.
Anfangs sind die tapferen Unioner lauter als die Dresdner Kurve, das hat sich aber nach fünfzehn Minuten. Dresden steht tief, Union soll das Spiel machen, aber auf den Außen sind sie zu schwach und in der Mitte hat Mattuschka keinen Platz. In seinem Alter dauert das schon mal etwas länger mit der Ballannahme. Wenn er sich um die eigene Achse dreht, kann man die Sekunden mitzählen. Einundzwazig, Zweiundzwanzig, Konter Dresden. An das Tempo passt sich später die ganze Mannschaft an. Wenn sich der Busfahrer dem Tempo angepasst hätte, wäre die Mannschaft erst drei Wochen später wieder in Berlin angekommen.
In der Halbzeit auf Toilette, später dann am Wurststand: Schlange stehen. Das geht hier sehr diszipliniert, das kann man hier. Liegt wohl auch daran, dass das ausgeschenkte Bier alkoholfrei ist, Sicherheitsspiel, da gibt’s nur Limo. Am Ende gehen wir stocknüchtern Richtung Biergarten, in dem Waldpark gegenüber des Stadions. Es gibt ‚Feldschlösschen‘, ziemlich bitter und unsüffig, deswegen nennt man Dresden wohl Elbflorenz, da gibt’s schließlich auch kein trinkbares Bier. Am Ende hat Dresden Berlin vier Stück eingeschenkt, und die berliner Fans beschmeißen ihre Spieler mit Feuerzeugen.
Auf der Rückfahrt erzählt F., wie er 1989 mit seiner Kalaschnikow in der Kaserne gesessen hatte und gewartet hatte, was die Offiziere zu den Demonstrationen sagen würden, zu den Leuten auf der Straße, die seine Schwester, seine Eltern waren. Ob man wohl rausmüsse mit scharfer Munition. Und was man dann wohl mache, die Demonstranten vor einem, den Offizier mit Pistole im Anschlag hinter einem. Falls einer den Schießbefehl verweigere Im Hintergrund läuft nochmal ‚Wir sind Dynamo‘, zwischendrin die Zeile: Wir stehn hier und ihr greift an.
Das letzte Mal Gänsehaut.