Kultur kommt nur von Verlierern und aus der Niederlage. Das produziert Kultur. Die Sieger haben noch nie Kultur produziert. (Heiner Müller)

Man mag es kaum glauben, aber Saint-Étienne hatte einmal eine große Mannschaft. Ende der 60er bis Ende der 70er waren sie das Sahnehäubchen auf dem bitteren Kaffee der Ligue 1. Michel Platini spielte da, Christian Lopez spielte da, Jacques Santini spielte da, Salif Keita spielte da. Und natürlich auch Johnny Rep, über den sie noch heute wunderbare Lieder singen.

Es werden auch hier einige wissen, dass Saint-Étienne es einst ins Landesmeisterpokalfinale geschafft hat, obwohl es bereits ein paar Jahre her ist: 1976 war das, und es ging gegen die Bayern. Das Finale fand in Glasgow statt, und in der 57. Minute kassierte Saint-Étienne den wahrscheinlich dämlichsten Eckballgegentreffer, seit es Eckballgegentreffer gibt. Es sollte das einzige Tor bleiben.

Und das alles nur wegen dieser vermaledeiten Pfosten. Es ist nämlich so: Saint-Étienne war durchaus sehr gefährlich, sie waren keineswegs die unterlegene Mannschaft. Sie schoßen mehrfach aufs Tor, und zweimal trafen sie die Latte.

Pech, ja.

Doppelt Pech natürlich, dass diese vermaledeiten Latte damals nicht rund wie heute, sondern eckig war, eckig wie das Gesicht von Klaus Kinski, eckig wie eine deutsche Schrebergartenhecke, scheißescheißeeckig eben.

Wären sie rund gewesen, wär der Ball nämlich ins Tor gesprungen. Ihr glaubt mir das nicht? Seht selbst:


Und hier der (kaum tendenziöse) Nachrichtenbeitrag:

Aber nein, die verfluchte Latte musste ja eckig sein. Und so verlor jene grandiose Mannschaft dieses Finale.

Man kann über französische Mannschaften viel schlechtes sagen, völlig zu recht, aber eines wird man anerkennen müssen: In der Niederlage beweisen sie oft Größe. Saint-Étienne wurde von tausenden Fans auf den Champs Elysées empfangen. Fußball, bis dahin eine Nischensportart, erlebte einen gewaltigen Hype, und vorneweg trieb es Saint-Étienne, den neuen Club der Nation. Tausende bekannten sich plötzlich dazu, Stéphanois zu sein, so heißen die Fans von Saint-Étienne. Der Club hätte das Bayern München Frankreichs werden können.

Aber nein. Aber nein. Stattdessen gewann Saint-Étienne noch hier und da einen Titel, bis Anfang der 80er gar nichts mehr ging, und man 1984 in die zweite Liga abstieg.

Seither haben sie gewonnen: einen Ligapokal. 2013.

Die eckige Latte – im Volksmund die eckigen Pfosten – sind ein Mythos. Es gibt Restaurants, die sich danach benannt haben, die größte Fanseite heißt poteaux-carrés, und es ist auch ein regionales Sprichwort geworden, für den Fall, dass wieder gar nix funktioniert, wie es sollte. Ein geläufiges Sprichwort, denn das gar nichts funktioniert wie es sollte, ist in Frankreich nicht gerade selten.

Es gibt sie natürlich trotzdem noch, die großen Momente der Vereinsgeschichte. Wichtiger als der Sieg im Ligapokal war ein Ereignis im gleichen Jahr, als das Vereinsmuseum beinah fertiggestellt war. Der AS Saint-Étienne hat die Pfosten gekauft. Die originalen, von damals.

Niederlagen feiern, als wären es Siege, und was einen niederzwang, mit Stolz tragen. Das ist eine Sorte Pathos, die rührend ist, hingegen Triumphe immer schal und schnöde sind. Ein Sieg ist eine gute Pointe, aber nur aus Niederlagen kann man Geschichten machen.