EM-Schnipsel, erster Teil
Von frederic am 03 Jul 2012 | "Mach ma n Zettel"
— Schnipp —
An dieser Patriotismusdebatte kommt mir alles falsch vor.
Das fängt mit den Flaggen und Seitenspiegelschonern an. Patriotismus sei die Liebe zum eigenen Land, aber was ist denn das für eine Liebe, die man mit solchen Wegwerfaccessoires feiert? Die Leute feiern ihre Verbundenheit mit billigem Plastikschrott, der kaum zwei Wochen alt schon auf dem Müll landet? Wäre ich Deutschland, ich wär ganz schön sauer über diese Lieblosigkeit. Bin ich ein Flittchen, dass alle zwei Jahre die Beine breit machen darf, und das man noch nicht einmal verführen muss, keine Blumen, kein Essen, keine schönen Worte – bloß eine beschissene Vuvuzela in meinen Farben? Wofür halten die mich denn eigentlich?
Entschuldigung, hab mich reingesteigert. Jedenfalls: Das ist auch kein Partypatriotismus, sondern (wie Johannes Jander schon 2006 schrieb) postpatriotischer Partyotismus, der mit „Solz aufs Vaterland“ nichts mehr zu tun hat. Man muss sich nur einmal ansehen, wie viele Produkte in schwarzrotgold in den Supermärkten inzwischen feilgeboten werden: ein Flutschfinger, der aussieht wie nach einer proktologischen Untersuchung. Toilettenpapier. Eine Klobürste. Deutlicher kann man Deutschland nicht sagen, das es am Arsch ist. Würde man das in einer Galerie und nicht in einem Supermarkt machen, käme auf der Stelle irgendein CDU-Fuzzi mit § 90a StGB herangewedelt. Von demher habe ich eher Mitleid mit den Konservativen, die tatsächlich Liebe für ihr Vaterland empfinden, da es vor ihren Augen vom Kapitalismus unsittlich berührt wird.
Ich verstehe die Kritik, die am aufkeimenden Nationalismus geübt wird, weil er bedrohlich ist und so weiter. Trotzdem hat der Einspruch gegen die Autobeflaggung etwas ritualisiertes: es wird nicht mehr gestritten, um sich zu überzeugen, es geht um Selbstvergewisserung. Wer eine Meinung zu dem Thema hat, hat sie aus 2006, spätestens 2008 herübergerettet und kommt davon in den seltensten Fällen weg. Es ist eine festgefahrene, fruchtlose Diskussion, und ich bin etwas enttäuscht, dass uns, den Kritikern, nichts eingefallen ist, das ähnlich witzig und hintertrieben ist wie eine schwarzrotgoldene Klobürste. 2014 müssen wir das besser machen.
— Schnipp —
Ich habe ohnehin ein größeres Problem mit der Party, nicht mit dem Patriotismus. Die Erwartungshaltung, die vor dem Turnier aufgebaut wurde (beste Mannschaft aller Zeiten, wenn überhaupt kann nur Spanien uns stoppen, bla), die offensichtliche Ahnungslosigkeit weiter Teile der Öffentlichkeit, obendrein das Desinteresse am Sport an sich, all das hat mich von Anfang an sehr ermüdet (EMüdet, haha). Dieser Wille, wirklich jeden in diesem Land miteinzugliedern in dieses Event, tut mir nicht gut: Ich kriege Ausschlag, wenn sowohl 11freunde als auch Spox auf Facebook mit anbiedernden Fragen kommt. Mach mit! Gib uns Deinen Klick! Die User haben entschieden: Klose statt Gomez! Als ob das irgendeine Bedeutung hätte. Obendrein dieser Konformismus: wie viele Witze über Griechenland habe ich gehört? Und Cristiano Ronaldo? Wie oft bin ich auf die Monthy Pythons hingewiesen worden? Und wann bin ich ein derartiger Snob geworden, dass ich mich darüber aufrege?
— Schnipp —
— Schnipp —
Balotelli, schrieb (glaube ich) die Gazetta dello Sport, sei das Symbol eines neuen Italiens. Ähnliches hört man immer wieder über die deutsche Nationalmannschaft, meistens mit dem Zusatz, dass sie mit ihrer begeisternden Spielweise halt auch irgendwie südländisch ist und so. Hier, zum Beispiel Martin Hyun: „Als Multikultitruppe entwickelte sie neues Denken, eine andere Spielweise und schuf dadurch eine neue Identität.“ Als Multikultitruppe? Wie bitte? Wäre es ein grundlegend anderes Denken, eine andere Spielweise, wenn man die komplette Mannschaft arisiert? Sagen wir: Neuer – Lahm, Hummels, Badstuber, Schmelzer – Schweinsteiger, Bender – Schürrle, Götze, Reus – Müller? Was ist denn das für ein bescheuertes Gedankenexperiment? Als würde sich der Fußball für so etwas wie Ethnien interessieren.
Fußballstars sind ein sehr undankbares Projektionsmaterial für gesellschaftliche Wunschvorstellungen wie zum Beispiel ein durchschlagend erfolgreicher Multikulturalismus. Es sind junge, erfolgreiche Multimillionäre, die von einem ganzen Tross von Lakaien verhätschelt werden. Spiegelt sich im Mannschaftsquartier von Danzig irgendeines der Probleme von sagen wir Neukölln?
Diese Illusion, den Multikulturalismus mit der Nationalmannschaft zu begründen, ist bisher noch immer in sich zusammengebrochen. Wir erleben gerade ein kleines Vorbeben mit der Diskussion über das Absingen der Nationalhymne (siehe dazu ad sinistram). Nicht ausgeschlossen, dass es einmal so weit kommt wie in Frankreich: dort feierte man die équipe nationale nach den Titeln von 1998 und 2000 als black blanc beur, eine neue, zeitgemäße Version des bleu blanc rouge. Die Illusion hielt zehn Jahre, nach dem Debakel in Südafrika zerbarst das ganze. Finkielkraut löste eine unschöne Debatte aus, als er sagte: „Man will kotzen bei dieser Generation von Vorstädtern. Man muss sich der ethnischen und religiösen Brüche, die diese Mannschaft untergraben, Gewahr werden. Die französische Nationalmannschaft ist eine Bande von Schurken, die keine Moral als die der Mafia kennt.“
Hyun sagt, sie sind so gut, weil sie multiethnisch sind. Finkielkraut sagt, sie sind scheiße, weil sie Neger sind. Und Muslime. Und aus der Banlieue. Es sind die gleichen Kategorien. Und weil es bei einer EM nur einen Gewinner gibt und 15 Verlierer, kann man sich ganz gut ausrechnen, welche der beiden Sichtweisen sich mehrheitlich durchsetzen wird.
— Schnipp —
Word.
Einspruch: Wenn die Nationalmannschaft schon ein Anlass ist, sich der Nation bewusst zu werden (und daran besteht – Partyhütchen, Blogartikel – kein Zweifel), dann hat das schon Konsequenzen, wenn die ethnisch-religiöse Zusammenstellung der deutschen Elf der einer westdeutschen Grumdschulklasse aus den 80ern entspricht. Denn auch wenn die billige Nationalparty ohne Interesse am Sportauf den Geist geht: völkisch ist das immerhin nicht. Da kann die NPD noch so oft versuchen, die Hautfarbe zu einem fußballerisch relevanten Kriterium zu erklären.
Aber welche Konsequenzen? Außer dass die Linksliberalen sich ein bisschen wohler fühlen dürfen. Ein Wohlgefühl, das in sehr kurzer Zeit – siehe Frankreich – kippt. Es ist ein Feigenblatt.
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Ein Gedanke, der mir heute – unabhängig von diesem Blogeintrag gekommen ist – und den ich gerne in irgendeiner Form loswerden wollte. Was besonders imponierend an der spanischen Manschaft ist, ist dieses Aus-dem-Hut-Zaubern von Weltklassespielern. 2008 hatte man auf einmal einen Andres Iniesta dabei, der 2006 noch Bankdrücker war. 2010 waren mit Pique und Busquets auf einmal ein Weltklasse IV und 6er dabei, die zwei Jahre zuvor noch nicht dabei waren. Dieses Jahr zauberte man mit Jordi Alba aufeinmal den LV schlechthin aus dem Hut… mal schauen welcher Superstar in 2 Jahren für Spanien aufläuft, von dem wir heute noch nichts ahnen!
Das stimmt. Und außerdem: Sie haben ohne Villa und Puyol gespielt. Die kann man nicht ersetzen, aber ich habe sie trotzdem nicht vermisst.
Ergänzend noch: Bei drei der vier Halbfinalisten waren Real-Spieler unter den Leistungsträgern: Coentrao, Pepe und CR7 bei Portugal, Khedira bei Deutschland, Ramos und Xabi Alonso bei Spanien. Das war auch die EM des José Mourinho.
Das ohne Frage. Und doch wird er sich am Ende ob des spanischen Erfolges geärgert haben. Denn da hat doch eher Barcelona als Madrid gewonnen.
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Weißte, warum ich keine Seitenspiegelbezüge habe? Aus Liebe zum Automobil. Ich mach doch nicht aus Patriotismus hübsche Dinge häßlich.
Das ist wahrscheinlich der beste Einwand gegen Patriotismus überhaupt. „Ich bin gegen die Nationalhymne, weil ich es als Zumutung empfinde, dass Sarah Connor vor Millionenpublikum Haydn singen darf.“
Also ich hab auch den ganzen Flaggen-Wahn und die Aussenspiegel-Überzieher nicht verstanden, aber für mein Gefühl war es schon nicht mehr so schlimm wie noch 2006. Aber ich hab wie auch 2006 an mein Auto nix hingebaut wegen dem Fussball – und werde auch in zwei, vier und sechs Jahren keine Fahnen, Aussenspiegel-Verhüterli oder sonstwas dazu benutzen mein Auto zu verschandeln.
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