In Wiesbaden
Von frederic am 03 Dez 2011 | An fremden Brettern
Wehen-Wiesbaden gegen Preußen Münster, Anfang Oktober. Von außen sieht die Britta-Arena aus wie ein Lagerhaus. Da könnten auch Joghurtbestände lagern. Wehen-Wiesbaden ist ja auch so ein Retortenverein, da sieht man immer die wildesten Verrenkungen. Preußen Münster kommt, keine Gästefans, die haben sich schlecht benommen gegen Osnabrück. Eigentlich gibts hier niemanden mehr, der Bock auf ein bisschen Stimmung hat – doch, einen. Den Stadionsprecher. Kai Völker.
Der muss auf Pillen sein, zumindest hoffe ich das für ihn. Mit der Begeisterung eines 15jährigen, der sich zum ersten Mal auf die Schaumparty der örtlichen Großraumdisse geschlichen hat, jubelt und frohlockt und proletet er seine Halbsätze zusammen. Den haben sie da inzwischen abgesetzt, nachdem in der letzten Saison drei Fans an Fremdscham eingegangen sind. Diese nervige „Guten Morgen“-Moderatorenstimme, diese aufgesetzte, frischlackierte Fröhlichkeit, die ansteckend wirken soll, dieses sofortige Bedürnis, jemandem mit der Axt den Kopf zu spalten, oder sich flüssiges Plastik in die Gehörgänge zu schütten: Kai Völker. Er spielt „Wovon sollen wir träumen“ ein, dann schreit er: Von drei Punkten. Er schreit „Seid ihr da?“ – Keiner antwortet. Er grüßt „die geilste und lauteste Haupttribüne in Wiesbaden“. Der Lärm ist unbeschreiblich. Ich sag mal so: Wenn mein Nachbar zu viele Bohnen gegessen hat, ist in meiner Wohnung mehr los. Und ich meine den Nachbar von gegenüber, auf der anderen Seite der Straße.
Ich geh ein Bier holen, das Licher 0,4 kostet drei Euro. Das Ticket war erstaunlich teuer. Wiesbaden ist nicht mehr nur Kurort, sondern auch wichtiger Standort der Präventivmedizin: hier kommen die ganzen Scheichs her, um sich durchchecken zu lassen. Das könnte immerhin die Preise erklären.
Vor dem Spiel Musik. Es läuft Seven Nation Army und You never walk alone. Einlaufmusik: Eminem. Viele der Zuschauer sehen aus, als hätten sie Erfahrungen mit Einläufen. Und würden sich genau jetzt daran erinnern. Aber die Einlaufkinder Luftballons in den Himmel steigen zu lassen, das ist cool.
Die hundert Ultras in der Kurve protestieren gegen den DFB, in Solidarität mit den Preußen Münster-Fans. Überhaupt sind die Besucher ganz in Ordnung, trotz der Zumutung, die dieser Verein ist. Rechts neben mir sitzt ein alter Mann, der das ganze Repertoire an Spielerbeschimpfungen drauf hat („Was willsten Du mit dem Ball? Aufpumpen oder was?“), links neben mir sitzt ein kleiner Junge mit seinem Vater, vielleicht sieben Jahre alt, der sich wundert, warum Nico Roth Gelb sieht. „Aber der heißt doch ganz anders!“
Das Spiel ist öde, Preußen Münster wehrt sich kaum, zur Pause stehts drei null. Danach passiert überhaupt nichts mehr. Der alte Mann („Du läufst wien Geldschrank, verdammt!“) schreit kaum noch. Der Junge schläft irgendwann. Der Stadionsprecher dreht endgültig durch. Ich gehe zehn Minuten vor schluß, um noch ein bisschen Konferenz sehen zu können, ich hab meinen Bierbecher noch in der Hand, als ich vor dem Ausgang stehe, da ruft mir ein Stadionsprecher in formvollendeter Höflichkeit zu. „Das gehört zurück, bitte!“
Selbst die Anliegen werden hier passiv vorgetragen. Ich habe Lust, mich nach Hause tragen zu lassen.