URU – ENG 2:1

Von am 19 Jun 2014 | Cachaça

Ich bin ein großer Fan des sinnlos athletischen Spiels mancher afrikanischer Mannschaft, letzte WM von Ghana, diese von der Elfenbeinküste, Nordkorea war auch so ein Fall gewesen. Ich sagte es bereits auf Twitter, bezüglich der Elfenbeinküste: Auch nach diesem Spiel habe ich keine Ahnung von Raumaufteilung und Spielsystem dieser Mannschaft, ich weiß nur: ich liebe es. Jeder Zweikampf ein verdammtes Abenteuer, geht irgendwas schief, explodiert an anderer Stelle irgendwas. Wie ein Actionfilm von Godard. Völlig egal, ob es Erfolg hat: Wenn ja, ist es wunderschön, wenn nein, sieht der Gegner aus wie ein verklemmter Spießer.

Bei Eingland erkenne ich Ansätze dieses Spiels, auch bei Frankreich; bei Brasilien und Argentinien in manchen Momenten. Der Hang zur Disziplinlosigkeit, das Vertrauen in den Mitspieler, nach einer eigenen verkackten Aktion würde er schon die richtige waghalsige Grätsche setzen, mithin die gegenteilige Spielanlage als jene von, sagen wir, Mannschaften mit Toni Kroos in der Mitte, das alles begeistert mich, weil es so schwer zu durchschauen ist. Jeder verlorene Zweikampf könnte der letzte sein, Fußball ist hier – mit vollem Einsatz gespielt – ein sehr ritterliches Spiel.

Vielleicht ist das ein Merkmal jener Mannschaften mit fünf bis sieben Spieler im Kader, die in der Liste der bedeutendsten Menschen über sich noch Jesus und Winston Churchill dulden. Wie so Prenzlberg-Klassen, in denen achtzig Prozent der Schüler irgendeine Hoch- oder Inselbegabung haben. Und die Eltern, das sind die Medien. Vielleicht ist der Misserfolg der Engländer ein Erziehungsmisserfolg der Sun. Und die Befriedigung am Scheitern solcher Mannschaften entsteht durch den Riss in der Erzählung von den Stars, weil der Boulevard seine Versprechungen nicht einlösen kann.

Wobei ich heute den Engländern alles Glück der Welt gewünscht habe. Der südamerikanische Fußball, der ja irrtümlicherweise oft mit Zauberei und Schuhplattlerei gleichgesetzt wird, hat seinen eigenen Reiz; aber mir würde es schwerfallen, auf einem Schwarz-Weiß-Fernseher Chile, Uruguay, Ecuador und Kolumbien an mehr als nur Details zu unterscheiden. Ein wenig Irrsinn zwischen all der Disziplin, das schafft Abwechslung.

Obwohl Uruguay natürlich ein Zaubertor geschossen hat. Ein idealer Ball von Cavani, ein Laufweg von Suarez, den die englische Mannschaft für den Pfad der Verdammten gehalten muss; unbegehbar. Sie wurden eines besseren belehrt. Bei zwei gegen fünf müssen bei den Engländern im nächsten Training immer fünf in die Mitte.

Und im Gegensatz dazu dieses Gewöll von einem Spielzug, das England zum Ausgleich gebracht hat; Johnson fällt in den Ball, als wäre er versehentlich aus dem Bett auf ein Skateboard getreten; und dann kommt der Ball derart ideal zu Rooney, dass der nicht mehr ins Grübeln kommen kann.

Und das übrigens vor allem deswegen, weil Uruguay am Ende offenbar die Luft ausgegangen ist. Schien fast so, als spielten die auf halbe Lunge; dafür spielte England zu ihrem Glück ohne Hirn. Wie man einen Ball, der länger in der Luft ist als ein Flug von New York nach Paris, derart bescheuert unterlaufen kann, wie man als Torhüter sich dann derart schnell langmacht, wenn Suarez am Fünfereck auftaucht – es gibt zum Glück in der englischen Sprache sehr viele Schimpfworte, die als Antwort durchgehen könnten.

Sehr gut finde ich übrigens die Tendenz zu langen Nachspielzeiten, wenn Spieler schon ab der 30. Minute anfangen, auf dem Feld ein Zwischenschläfchen zu halten. Wenn ich mir noch was wünschen darf: eine konsequente Bestrafung taktischer Fouls wäre schön.

Eine gewisse Müdigkeit

Von am 16 Jun 2014 | Cachaça

Ich gebe es ungern zu, aber gestern ist es mir dann doch aufgegangen, während ich abends auf einer Dachterrasse saß und mich nicht recht auf das Spiel konzentrieren konnte; ich komm nicht so gut rein in die WM. Nicht so gut wie in frühere Turniere.

Ich weiß nicht, woran es liegt. Ist es, weil ich die brasilianischen Proteste auch in dieser Schärfe für legitim halte, und gleichzeitig stundenlang Fußball kucken kann, ohne dass auch nur eine Information dazu aus dem Fernseher tropft? Ist es, weil das Wissen um die Korruptheit der FIFA sich wie Schleim über das Spiel gelegt hat? Weiß ich inzwischen zu viel über die Spieler, um mich mit ihnen identifizieren zu können, muss ich zu viel Aufwand betreiben, um sie von ihrer Beiografie zu lösen, um sie nur noch als Zeichen, Metaphern und Allegorien sehen zu können?

Möglicherweise. Wobei mich nichts so sehr nervt wie die Rahmenberichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen. Stundenlang kann man vor dem Fernseher sitzen und keinen Ton zu den Protesten hören. Stattdessen diese ekelhafte Selbstgefälligkeit, diese Deutschtümelei; zum Beispiel im Vorfeld des Italienspiels. Was mag wohl der Grund gewesen sein, stundenlang über Immobile zu reden; obwohl der nicht spielen würde, was jedem klar war, obwohl der während der WM nur dann eine Rolle spielen würde, wenn ein Hai Balotelli mindestens ein Bein abbeißt.

Man könnte das ja machen, random interessante Typen jenseits ihrer Relevanz für das Spiel vorzustellen, aber das war ja gar nicht die Absicht. Immobile war deswegen wichtig, weil er Dortmunds neuer Star werden soll; und Dortmund, der zweite der Bundesliga, muss ja wohl einen Star einkaufen. Ein Star, der aber gar nicht spielt, und da stellt sich dann schon die Frage: Warum nicht? Wegen Balotelli, der der viel größere Star ist (um Qualität und taktische Erwägungen geht es da ohnehin nicht). Und da muss man irgendwie auch klar machen, warum Immobile der viel bessere Spieler und Mensch und Charakter ist als Balotelli, der ja nun völlig unverständlicherweise spielt (besonders schön die Aussage Elbers, die Fans hätten auch lieber Immobile); wobei jedem, wenn man das Spiel gesehen hat, völlig klar ist, warum Balotelli spielt. Und das – Wahnsinnsfrechheit – obwohl der nicht in der Bundesliga spielt.

Sowas macht mich ausgesprochen müde; ähnlich wie die Lobeshymnen auf Brych, als würde man sich hierzulande für Schiedsrichter interessieren, wenn sie keine Fehler machen. Aber es ist ja ein Deutscher, da macht so eine Analyse natürlich Sinn.

Das ist mir alles viel zu verkrampft, viel zu lusttötend, viel zu unwesentlich. Ich hätte gern die Unschuld zurück, die das Spiel für mich zu etwas besonderem macht; und diese Unschuld, an der fressen gerade FIFA und Berichterstatter. Eine Unschuld, die inzwischen nur noch in Werbespots zelebriert wird.

Ich werde die nächsten beiden Spieltage unter netten Menschen verbringen, weswegen es hier auch keine Spielberichte direkt nach Abpfiff geben wird; ich hoffe sehr, dass mich das kurieren kann.

ENG – ITA 1:2

Von am 15 Jun 2014 | Cachaça

Das verstehe ich nicht. Warum weigert sich England denn, in die Zweikämpfe zu gehen? Mal einen Schritt raus gehen und nicht bloß im Raum stehen wie eine dekorative Zimmerpflanze! Hat Hodgson ihnen denn keine videoaufzeichnung von Hastings gegeben, um den Spielern zu zeigen, wohin sowas führt?

Ich muss übrigens gestehen, ich bin großer Sturridge-Fan. Diese Art zu spielen hat etwas Unprätentiöses und Unschuldiges. Der rennt immer so lang geradeaus, bis irgendwann eine Wand kommt, anders kriegt er sich nicht mehr gestoppt. Man spürt, dass er mit dem Rückenmark denkt, wie selbstvergessene Kinder, wenn sie mit sich selbst spielen: Happ, zack, rumms, und jetzt! Diese naive Leichtigkeit, in Verbindung mit der enormen Energie; mich erinnert es immer daran, dass es Menschen geben muss, die das Leben einfach finden. Sturridge zuzusehen hat etwas davon, einen etwas zu flachen Film zu sehen, der einen aus unerfindlichen Gründen seelig macht (ehe man beginnt, darüber nachzudenken).

Bis jetzt haben wir ja schon viele schöne Tore sehen dürfen, natürlich blieb es Italien überlassen, da einen Gegentrend zu setzen: wie Barzagli in der 22. den Pass von Welbeck entzaubert, das war Poesie. Der Ball läuft recht schnell an ihm vorbei, in seinem Rücken steht Sturridge, er kann ihn fast nur aufs Tor klären, wenn er ihn zentral trifft, also was macht er? Er fährt mit der Schuhspitze darunter und hebt ihn leicht an; gerade so, dass Sturridge nicht mehr umdisponieren kann, und der Ball ins Seitenaus dröppelt. Man müsste ein gif daraus machen und es Marcelo ein Jahr lang auf sein Haus projezieren; vielleicht mach ich mir das als Bildschirmschoner.

England mit den besseren Chancen, sagt der Mann im Fernseher, ich weiß nicht; natürlich hätte ein Tor fallen können, bei den Schüssen aus der vierten Reihe, es werden schließlich auch Leute aus heiterem Himmel vom Blitz erschlagen. Bloß die Wahrscheinlichkeit ist eben nicht sehr hoch, dass daraus was wird, und wenn doch, dann für Italien. Andrea Pirlo mit einem veritablen Hütchenspielertrick, und kein Engländer hat verstanden, unter welchem Italiener die Kugel liegt; und als sie es wussten, wars schon zu spät. Da schnitt sich der Ball durch die Abwehr wie durch eine Sahnetorte.

Also England will anfangs nicht so recht in die Zweikämpfe, und Italien führt einsnull, um sich dann – auskontern zu lassen. Something something wtf. Bei dieser WM gilt nichts von dem, was zuvor galt, ich bräuchte einen Pivat-Galileo, der mir das alles mal auseinandersetzt.

Kaum hat man sich vom Wort am Sonntag erholt, wurde Italien humorlos; sahneweiche Flanke Candreva, und Balotelli im Fünfer. Wie ein Land, das Kirchen baut wie den Petersdom, seine Züge derart schnörkellos herunterspielen kann, keine Ahnung.

In der zweiten Hälfte spielte England dann im Grunde völlig ohne Außenverteidiger; ich glaube, für Baines war das beste am Tag, dass er sein Trikot richtigherum anhatte. Ab der 75. war dann eigentlich die Luft raus; für Pässe über drei Meter Länge hätte man schon ein Taxishuttle einsetzen müssen. Italien stand einfach da und wartete, bis es Zeit wurde, nach Hause zu gehen. Am Ende, in der Nachspielzeit, stand noch nicht einmal mehr ein Engländer im italienischen Strafraum; so wenig Kraft war da noch.

Nun denn, England, das wird wohl knapp werden.

PS: Elfenbeinküste gegen Japan werde ich mir an dieser Stelle klemmen; zu den Spiele morgen wirds erst übermorgen etwas zu lesen geben. Frankreich muss ich blutenden Herzens, unter lieben Menschen, die Taschentücher bereithalten für den Fall, dass alles so kommt, wie ich es erwarte; ein kleines wenig Hoffnung bleibt ja, denn bisher kam überhaupt nichts, wie ich es erwartet habe.

URG – CRC 1:3

Von am 14 Jun 2014 | Cachaça

Was in Brasilien jogo bonito heißt, wie man immer behauptet, dabei behauptet das vor allem Nike, und weiß Gott, die sorgen nicht dafür, dass das Spiel schöner wird, ganz im Gegenteil; das heißt in Uruguay wahrscheinlich zacapum; immer hübsch draufhalten, egal ob des Gegners Bein oder Ball in Reichweite sind. Jetzt, da Holland zur Kontermannschaft umfunktioniert wurde und stattdessen Deutschland wie von Klee gezeichnete Spielzüge zelebriert, jetzt da sich viele Mannschaften nicht mehr den Traditionen ihrer Vorgänger verpflichtet fühlen, hört ein kleines LAnd nicht auf, den Neuerungen Widerstand zu leisten: Uruguay ist seit ich denken kann eine Mannschaft von Tretern, Hauern und Stechern. Vielleicht haben sie sich dieses Jahr vorgenommen, ein wenig mehr fürs Auge zu bieten, und ihre Trikots bei 90° gewaschen. Nun bin ich recht gut im Bilde über die anatomischen Eigenheiten uruguayischer Profifußballer-Oberkörper. Im Grunde genommen spielt Uruguay in Miniröcken.

Die Taktik Uruguays war wohl einer eher unrühmlichen Schaffensphase Harald Schmidts entlehnt: so wie der eine Zeit stets nur dasaß und wartete, dass Pocher irgendwas idiotisches macht oder sagt, das ihn im Vergleich hervorragend aussehen lässt, so wartete auch Uruguay. Costa Rica tat ihnen recht schnell den Gefallen und ging mit Unnötigkeiten in Serie: der Freistoß war unnötig, der Stellungsfehler war unnötig, das Foul im Strafraum war unnötig, und ich saß vor dem Fernseher wie ich vor dem Radio sitze, wenn Unheilig läuft, fassungsloses Kopfschütteln und immer wieder die Frage auf den Lippen: Warum das denn nun?

Man hatte viele Gelegenheiten, sich zu wundern; technisch war das Spiel voller Unzulänglichkeiten, wie von GM hergestellt. Sympathischerweise ließ sich Costa Rica davon kein bisschen beeindrucken und versuchte weiterhin, Hübsches zusammenzudrechseln, wahnwitzigerweise mit Erfolg: ein Hackentrick, eine Flanke, viel Platz im Zentrum und dort dann Campbell, der die Faxen dicke hatte, schon stands einseins. Und kaum war ich fertig damit, mir die Augen zu reiben, fand ein Freistoß die sehr tieffliegende Stirn von Duarte; Uruguay hat bei Standards hinten ein Abwehrverhalten wie im Bällebad, trotzdem hacken sie dem Gegner auch in Strafraumnähe regelmäßig die Füße ab. Vorne stand Cavani und ernährte sich von Wildhonig und Heuschrecken.

Um ihn herum die Phalanx der Costaricaner, die ihre Konter recht oft mit Schüssen aus 300 Metern abschlossen; ein Pech für sie, dass der diesjährige Ball stabil im Flugverhalten ist, mit den Flatterbällen der letzten WMs hätte Muslera bestimmt einiges mehr an Gymnastikübungen vollführen müssen. So blieben ihm überraschende Wendungen erspart, und den Costaricanern hingegen einige Meter: ich war überrascht, dass sie in der 80sten im Durchschnitt nur 8,7 km gelaufen sind; das sind gut 2 km weniger als man erwarten dürfte. Die Hitze reißt Räume auf, besser als jedes Gegenpressing. Da ist immer viel Raum für viele schöne kleine Dinge; am Ende ist es wohl genau dieses Klima, das diese WM zur bisher besten, spektakulärsten und interessantesten meiner Zuschauerkarriere gehört.

Tapferes Costa Rica! Oh, die will ich dringend gegen Italien sehen.

COL – GRE 3:0

Von am 14 Jun 2014 | Cachaça

Ich hatte mir Strickzeug rausgelegt, und Bügelwäsche. Und ganz viele Haargummis, um mir Zöpfchen zu flechten. Oder was basteln! Ich wollte schon so lange wieder was basteln.

Man sieht, vom Spiel hab ich mir nicht viel versprochen; das würde wohl ähnlich unterhaltsam wie ein Kaffeekuchen-Nachmittag bei zwar netten, aber auch alten und nicht sehr weltgewandten Verwandten. Ich hab direkt den Geschmack von Flan im Mund, den gab es immer bei dieser Sorte Onkel und Tanten.

Und genau so wars dann ja auch, Kolumbien spielte exakt bis zum Tor, und danach konnte man den vergeblichen Bemühungen der Griechen zusehen, wie sie mit diesem seltsamen Ding, diese mit Luft gefüllt Schweinsblase, mit Schwerkraft und der Flexibilität der eigenen Kniegelenke umzugehen versuchten; das hatte schon etwas rührendes. Im Kontrast zu der kühlen, aber kraftvollen Eleganz Kolumbiens sahen Samaras und Holebas aus wie besoffene Fohlen. Mit einer Gemächlichkeit, die ans Entenfüttern gewahrte, verstolperten die Griechen vorne die Bälle. Vom Tempo her hatte das was von einer 3sat-Doku. Möglicherweise bin ich zwischendrin eingenickt.

Kolumbien macht das 2:0, unspektakulär wie Wurstbrot. Oh, aber es hätte noch spektakulär werden können, wäre Gekas der Ball ähnlich selbstverständlich von der Stirn getropft wäre wie der Schweiß, aber ach. Für Griechenland bleibt die Hoffnung, dass Fußball eine der ganz wenigen Sportarten ist, in der auch die erkennbar schlechtere Mannschaft gewinnen kann.

Und ganz am Ende macht Rodriguez, die Pappnase, meinen Tipp kaputt. Warum muss denn dem Cuadrado in der 93. Minute nochmal langweilig werden? Aber dafür hab ich jetzt die Zehennägel schön.

CHI – AUS 3:1

Von am 14 Jun 2014 | Cachaça

Ist Chile das diesjährige Italien? Es fehlt der Jubel, der charakteristische. Wie klug das Sanchez macht, den mit den Innenrist reinzuschieben, als hätte er in einer Sekunde erkannt, wie die 100 Leute auf der Linie stehen; sehr viele Leute hätten den Vollspann genommen und dann ein Stoßgebet zu Santa Maria; aber das war, weiß Gott, schlau. Intelligenz-Hornisse dafür!

Und Fleißbienchen fürs zweite Tor. Wobei das wahrscheinlich nicht ganz so schwierig war, das Akkordeon der australischen Viererkette zu einer misstönenden Triangel umzugestalten; man muss den überhaupt erstmal dermaßen zentral zentriert wagen, diesen Schuss. Den hält ja sonst jeder. Außer Ryan.

Ich würde jetzt gerne ein Wortspiel mit Saving Private Ryan machen, genauso wie ich gerne mit dem Namen Leckie spielen würde, der heißt wie meine liebste Hauptfigur in The Pacific. Es sind die Namen der Australier, die in mir Krieg assoziieren lassen, da können die gar nix für.

Und das Spiel auch ein bisschen, es hätte ein Scheibenschiessen werden können. Wenn ich die Augen zugemacht habe, war mir Australien die Inkarnation von Hinrundenbraunschweig. Bälle in die Spitze, so präzise wie Luftröhrenschnitte mit der Kugelschreibermine: geht schonmal gut, aber häufig eher nicht. Dass Cahill den Ball reinmachen darf, ist ein Abmahnungsgrund. Aber war das Nachlässigkeit oder Unvermögen? Ich würde nicht wetten wollen, würde aber sagen, Chile ist besser, wenn es den Ball flacher hält als sein Küstengebiet. Am besten, da sind wir wieder bei Italien, das Spiel insgesamt ist unteriridisch; dann taugt Chile am meisten. Wahrscheinlich unterschätzt man sie nach Vorrunden-Australien. Vorrundenaus-Tralien. Ich bin sehr unentschlossen, wie ich diesen bescheuerten Sprachwitz am günstigsten schreibe. Aber ich habe nicht die Zeit, mir darüber Gedanken zu machen.

(Is aber auch gemein, nach so einem Spiel wie Spanien – Niederlande überzeugen zu müssen. Ich erwarte mir von Chile allerdings, dass es insbesondere den Holländern Probleme machen wird.)

Völlig wahnsinnig, wie Chile sich das Spiel in der zweiten Hälfte abnehmen lässt. Wo genau ist Vidal, wo Vargas, wo Mena? Man hätte doch mehr Zeit als vor einem Kinofilm, die Australier halten den Ball doch länger als Jack sich am Bug der Titanic; kassenschlagerlang, aber will man das sehen? Pässe wie Witze aus Two and a half men, nicht lustig, nicht klug, nicht begeisternd oder verblüffend, sondern schlicht verstörend doof, aber effektiv. Kann, was es will, das wäre für den deutschen Onlinejournalismus bereits ein zu großer Anspruch; Australien passt der Anzug. Die machen mehr, als sie können. Das ist immerhin respektabel.

Bei Chile weiß ich nicht; vielleicht können die nicht, was Australien ihnen abverlangte. Ich erinnere mich, was einstmals der Bandname Element of crime in mir ausgelöst hat; ich habe nicht an Lieder über Erdbeereis gedacht. Inzwischen höre ich diese Enttäuschung, da keinen Hardcorepunk erwarten zu dürfen, beim Wort Geheimfavorit durch: aber ehrlich gesagt, man muss nicht dominieren, das ist ein spanisches Missverständnis, Einsatz reicht. Könnte schon sein, das hat man so nicht recht gesehen (aber in Stuttgart gegen den DFB hat sich das angedeutet), dass das eine Mannschaft voller Großkreutze ist; dann könnten sie noch wehtun.

Heut immerhin mir. Mal sehen, wer am Ende früher sagt, es sei ein beau séjour gewesen; auf jeden Fall nicht Poschmann, der ist Fremdsprachenaphasiker. Ist nicht schlimm, nix passiert. Nicht in diesem Spiel.

ESP – NED 1:5

Von am 13 Jun 2014 | Cachaça

Von Mike Tyson heißt es, er habe sich, weil er so klein war, eine neun Schritt-Kombination erarbeitet, um in seinen Gegner hineinzukommen. So ungefähr macht das auch Spanien; tatsächlich sind sie ja bei weitem nicht so abschlußstark wie andere Mannschaften ihrer Kategorie. Es heißt immer, das Tikitaka sei eine Defensivtaktik, aber ich halte das für ein Missverständnis. Diese Prämisse geht davon aus, dass der Gegner nicht in den Angriff schalten kann, wenn man selbst den Ball hat. Aber Angriff bedeutet nicht, dass man den Ball haben muss; Pressing beispielsweise ist selbstverständlich keine Defensivaktion.

Schade um den Elfmeter, bis dahin war es ein vorzügliches Spiel. Die drei da vorne in blau sahen sehr nach Spaß aus, konzentriert wie alte Freunde bei ihrem ersten Zapfenstreich. Ganze zehn Minuten sah es so aus, als gäbs einen Hasen, von dem die Spanier nicht wissen, wie er läuft; wie sie es also nicht verhindern können, im Mittelfeld in Zweikämpfe gezogen zu werden. Wenn man sie zwingt, sind sie die Leute, die Leinenschuhe zu einem Madness-Konzert angezogen haben. Die Niederlande machte das ganz wie bairische Küche: rustikal und raffiniert in einem. Kein Knochenbrechen nötig, de Jongs Messer saß fest im Sattel oder so.

Irgendwann – recht bald leider – ist de Guzmans Navi ausgefallen und dann waren sie nicht mehr recht am Mann, zumindest nicht vor ihrer Viererkette; drei vier Mal schoben die Spanier die Bälle durch die Schnittstellen, wie man einen Kuchenansticht, um zu wissen, ob er schon gar ist. Der Fehler war ja nicht, dass de Vrij da seltsam wegrutscht und Costa da leicht eine wischt; dass der im 16er an den Ball darf, das ist schon ein Fehler.

Der Ausgleich fiel, haha, genau wie der Ball, hihi, aus heiterem Himmel. Wobei die Flugbahn der Flanke um einiges eleganter gewesen ist als jene von van Persie, der einen Hurz gesprungen ist: keine Kunst, aber zweckmäßig. Ein Freund erzählte mir einmal, er sei in der Wohnung seines Schwarms einmal – angetrunken und bis dato wenig ermutigt – von einem Sessel aus in das Bett gesprungen und habe dabei laut „Törööö!“ gerufen; an diese Sorte Eleganz musste ich denken, als ich van Persie seinen Hopser vollführen sah. Wäre der Untergrund Wasser gewesen, er htte drei Tage lang nicht auf dem Bauch schlafen können. Auch jener Freund, fürs Protokoll, war dann erfolgreich; obwohl nach seinem eingesprungenen Balzversuch ein Bettpfsten brach, was den Schwarm in ein Gelächter ausbrechen ließ, dass noch drei Straßenzüge weiter Gläser in den Schränken klirrten: die Beziehung hielt acht Jahre.

Ich trödele in meiner Erzählung, ich weiß schon, da bin ich offenbar Spanier; bisher habe ich noch nie ein positives Wort über Robben verloren, aber diese Ballannahme, diese Ballkontrolle: würde man das vertonen, es käme Mozart dabei heraus. Crême fraiche-weich löffelt er sich da an Piqué vorbei, um direkt in die Antizipation überzugehen; diese Schrittfolge, man muss sich halt den Kopf wegdenken, diese Tempoverschärfung, wie man fürs System zu sagen pflegt, das können nicht sehr viele (Götze kann das, Messi, Ibrahimovic, vielleicht noch zwei mehr, die mir gerade nicht einfallen). Man sieht, wie Piqué im Fallen schon denkt: Scheiße, heute bin ich Averell.

Es war dann schon ein heiliger Rausch, in den sich Holland gespielt hat. Spanien war wie der Tresenpartner, der einen während des Vollaufens erzählen und theoretisieren und abschweifen lässt: ein guter Kumpan, an den man sich unscharf erinnert am nächsten Tag, man hatte ja so sehr mit der eigenen Großartigkeit zu tun und auch den ganzen Abend selbst bestritten. Dass es einen dafür braucht, der theaterpublikumsgleich nur an der ein oder anderen Stelle einen kurzen Akzent setzt, daran denkt man nicht.

Klar gehört auch ein wenig Glück dazu; dass ramos (war doch Ramos, oder?) den Ball abfälscht, dass ein deutscher Schiedsrichter die Naturschutzzone für Torhüter eher englisch auslegt, dass der Ball arg ins Tor wollte, obwohl ihn de Vrij eigentlich getroffen hat, wie man ein Sofakissen trifft, wenn man sein Haupt bettet. Es waren, natürlich, unkontrollierbare Tore; und das ist der Verdienst der Niederländer, unkontrollierbare Momente gegen Spanien geschaffen zu haben. Wem ist das denn zuletzt gelungen? Es muss Jahrzehnte her sein. Das erste Spiel, an dem ich, hätte ich aufs Klo gemusst, in erwägung gezogen hätte, einfach unter mich zu machen, um ja nix zu verpassen. Und das am zweiten Spieltag.

So also muss der Rest der Welt geschaut haben, denke ich, als Deutschland England und Argentinien abfrühstückte. Ich freue mich auf morgen, mehr als normalerweise.

MEX – CMR 1:0

Von am 13 Jun 2014 | Cachaça

Zunächst einmal hier den Song zu den bisherigen Schiedsrichterentscheidungen:

Der Kameruner Rückraum muss ein Clownsauto sein. Wie ist denn das sonst möglich, dass die zu zweiundvierzigst um den eigenen Strafraum stehen und trotzdem Mexiko Platz und Zeit genug hat, um da sogar ungestört ein Hochhaus hinzubauen, stünde ihnen der Sinn danach. Doof natürlich, dass der einzig brauchbare Abschluss direkt drin war, bloß der Schiedsrichterassistent hat Abseits gerochen; das wird die nächste Diskussion werden, das mündet irgendwann noch in der Abschaffung des Schiedsrichters. Vielleicht könnte man da noch was quotenbringendes draus machen, Leute anrufen udn abstimmen lassen, obs denn jetzt ein Tor geben soll oder nicht, gerne auch aus völlig unvermittelten Situationen, bei einem Einwurf an der Mittellinie oder so.

Blöd auch, dass Kamerun dann aufhörte, vor sich hinzuträumen und an den Wegesrand säumenden Blümchen zu riechen; das war ganz lustig anzusehen, ein bisschen wie Rummelboxen. Wenn ich nur die angreifende Mannschaft betrachtete, hörte ich mich durchgehend an wie Louis de Funès, lauter uhs und ohs und ahs und lustiges Herumgehüpfe, manchmal gar freudiges Indiehandgeklatsche. Achtete ich auf die Organisation der Defensive, glich meine Reaktion eher jener, als ich das erste Mal das Video zu Wrecking Ball gesehen habe, irgendwo zwischen so, so und so. Überraschend übrigens, wie gelassen insbesondere Kamerun Mexiko kommen ließ, als hätten sie ihre Viererkette hinten an Feng Shui-Kriterien ausgerichtet.

Da ist ja dann auch immer Raum für Improvisationen, und die nutzte Mexiko dann auch irgendwann. Ich zögerte kurz, bevor ich anerkennend nickte; als müsste die Torreaktion erst noch gebuffert werden.

Mexiko wiegte sich danach in seelige Schlummrigkeit, zwischenzeitlich gab es von Kamerun einige schöne Grätschen zu sehen. Laufbereitschaft der Spieler ohne Ball ungefähr auf dem Niveau von Mario Basler während des Oktoberfests. Ein Glück für Enoh regnete es, ansonsten wäre bestimmt jemand Mitfühlendes auf den Platz gerannt, um ihn zu gießen.

Es wäre schon wahnsinnig ungerecht gewesen, hätte Kamerun in den letzten zehn Minuten noch den Ausgleich gemacht. Andererseits auch befriedigend, denn würden alle so handeln wie Mexiko, würde dieser Text nämlich

Ivica Olic

Von am 13 Jun 2014 | Stammgäste

2009 habe ich mal über Ivica Olic geschrieben; aus gegebenem Anlass hier der Text (leicht redigiert) als Wiedervorlage:

Olic ist ein Sechser im Sturm. Allein schon, wie er läuft: den Kopf zwischen die Schultern geklebt, das sieht alles andere als rund aus, er tritt auf, als wolle er sich mit eigener Krat in den Boden stapfen. Das ist keine Leichtigkeit, das ist reine Arbeit; wenn Fußballer wie Autos wären, dann wäre Olic ein Volvo. Zuverlässig, unkaputtbar, nur optisch optimierbar.

Und dann, wieviel er läuft. Und läuft. Und läuft. Das muss doch anstrengend sein, so zu laufen. Es sieht auch immer aus, als könnte er eigentlich, physiologisch, gar nicht so schnell wie all die anderen Kinder, und macht deswegen doppelt so viele Bewegungen. Dass das funktioniert, wie soll man ds erklären?

(Und wenn er beginnt abzubremsen, wenn er an der Außenlinie oder zwei Meter darüber hinaus einen Ball nicht mehr kriegen wird, dann wechselt er in den Entengang. So einen Gang hat man seit Nedved schon lange nicht mehr gesehen.)

Olic ist, wenn er ein Hollywood-Charakter wäre, der Jugendliche, der nicht durch Wohlstand, nicht durch gutes Aussehen, nicht durch Coolness, nicht durch Geprotze die Ballkönigin gekriegt hat, sondern durch schiere Beharrlichkeit. Durch blosses Wollen. Olic ist der Duracell unter den Bundesligastürmern.

Man muss ihn mal gesehen haben, wenn er einen Ball gerne anders gehabt hätte. Wenn er sich beklagt, dass ein Pass nicht da hin kam, wo er ihn hin haben wollte. Luca Toni beispielsweise will alle Bälle auf sich haben, am besten auf die Brust. Er macht dann immer diese Geste, die Italiener in den Gangsterfilmen machen, wenn sie Mamma Mia sagen. Olic dagegen zeigt immer irgendwo in die Wüste, auf die eine oder andere Eckfahne. Olic will den Ball nicht haben.

Der will ihn sich erlaufen.

BRA – KRO 3:1

Von am 13 Jun 2014 | Cachaça

Neben mir saßen gestern Leute, die Sachen gesagt haben wie „Aber mit Löw gewinnen wir halt auch nix“ und sich zwei Stunden später beklagt haben, dass Fred leichter fällt als der Regen. Man müsste sich dann doch entscheiden, denke ich, ob man das Spiel respektiert (und darin die theoretische Möglichkeit der Niederlage) oder den Sieg. Aber da gilt im Nationalbewusstsein ja immer noch: die anderen spielen, Deutschland gewinnt; gegen jede historische Erfahrung.

Nach dem Ausgleich hatte ich zu keinem Punkt den Eindruck, Kroatien könnte sich aus dem Spiel noch was herausholen. Die Kroaten kamen mir vor wie ein Schiff ohne Heck und ohne Bug: kein Torwart, kein Stürmer. Ich fand es schon beinah niedlich, dass sie weiterhin so flankten, als würde Mandzukic vorne drin stehen und nicht der arme Jelavic, der da herumfuhrwerkte wie ein Umgelernter. HAtte der mehr als drei zu Höherem verpflichtende Ballkontakte? Der stand da vorne wie Gott im Rapsfeld: als Idee vielleicht ganz schön, aber ohne tatsächliche Auswirkung auf das Geschehen rund um ihn herum.

Ich weiß nicht, was der Matchplan der Kroaten war. 30 Minuten rennen wie räudige Straßenköter und alles beißen, was vorüberrast, bis alle Zähne ausgebrochen sind und man nur noch die Kauleisten klappern hört? Dann den Rest des Spieles in den Schlaf schaukeln, während man selbst dichter hinten drin steht als Harald Juhnke? Wer weiß, das hätte vielleicht klappen können, nur gab es da diese eigenartige Anomalie: die Zweikämpfe hat man außen verloren, das Spiel in der Mitte.

An dieser Stelle gebührt Oscar eine Huldigung: wie der vor dem Ausgleich zweimal den Ball behauptet gegen gefühlt fünf Kroaten, war derart schön, man müsste einen Schlager darüber dichten. Wie man auch über Luiz Gustavo Elegien schreiben müsste; das ist Brasiliens Sicherung. Dreht man den raus, gehen die Lichter aus.

Es bleibt die Erkenntnis, das Brasilien eine Nuß ist: die knackt man über außen. Und egal wie hart sie ist, wenn man den richtigen Hebel findet, tun sich da plötzlich Räume auf, denen man schlicht nur Namen zu geben braucht. Das Drehbuch zu einem Sieg gegen Brasilien hat Michael Ende geschrieben, in der unendlichen Geschichte: was man braucht, sind Außen mit Fantasie.

« Neuere Artikel - Ältere Artikel