Gestern, in einer Kreuzberger Kneipe, wir saßen zusammen und schmiedeten Pläne, kam ein Strassenfegerverkäufer vorbei, ich sah ihn kaum an, er sagte, er sei gerade obdachlos und ob wir nicht… da unterbrach er sich und sagte zögernd „Fred?“ Ich sah ihn an und erkannte ihn immer noch nicht, er streifte sich seine Kapuze vom Kopf und sagte: „Weißte noch?“ Ja, da fiel es mir ein, ich wußte noch, verdammt, das war der N., aus einer meiner alten Kneipen, ich saß recht oft mit ihm am Tresen, schlau war er und hatte viel gelesen, wußte einiges über Hegel und Bruckner, Brahms auch, er liebte romantische Klaviermusik, von Fußball allerdings hatte er fürwahr überhaupt keine Ahnung; ich hatte mich schon hin und wieder gefragt, wie es ihm geht, und jetzt sah ich es: nicht gut. Heroin, wahrscheinlich, das war schon damals das Problem, das hat ihn Beziehung und Job gekostet, jetzt, sagte er, sei er wohnungslos, aber es ginge wieder aufwärts, sagte er, ich hätte das wirklich gern geglaubt. Ich gab ihm 20 Euro, und ich weiß nicht, war das eine nette Geste oder eine ungeduldige, wie ein Wedeln mit der Hand, es war schiere Hilflosigkeit, ich habe keine Ahnung, was man da macht. Hab ich ihm geholfen oder seinen Untergang beschleunigt, ich bin nicht in der Position zu helfen, man verachtet die Schwachen ja doch auch deswegen, weil man selbst vor ihnen so hilflos ist, weil sie einem die eigene Machtlosigkeit spiegeln, die eigene Vergänglichkeit auch, ich sah ihn und dachte: so wird mich auch einmal wer ansehen, bald schon, und es gibt nichts, gar nichts, was ich dagegen tun kann.

Zum Abschied klopfte ich ihm auf die knochendürre Schulter und wußte nicht was sagen, da sagte er – er! – Das wird schon alles wieder. Okay, sagte ich, okay. Viel Glück, sagte ich, und er: Bis dann.