Von Mike Tyson heißt es, er habe sich, weil er so klein war, eine neun Schritt-Kombination erarbeitet, um in seinen Gegner hineinzukommen. So ungefähr macht das auch Spanien; tatsächlich sind sie ja bei weitem nicht so abschlußstark wie andere Mannschaften ihrer Kategorie. Es heißt immer, das Tikitaka sei eine Defensivtaktik, aber ich halte das für ein Missverständnis. Diese Prämisse geht davon aus, dass der Gegner nicht in den Angriff schalten kann, wenn man selbst den Ball hat. Aber Angriff bedeutet nicht, dass man den Ball haben muss; Pressing beispielsweise ist selbstverständlich keine Defensivaktion.

Schade um den Elfmeter, bis dahin war es ein vorzügliches Spiel. Die drei da vorne in blau sahen sehr nach Spaß aus, konzentriert wie alte Freunde bei ihrem ersten Zapfenstreich. Ganze zehn Minuten sah es so aus, als gäbs einen Hasen, von dem die Spanier nicht wissen, wie er läuft; wie sie es also nicht verhindern können, im Mittelfeld in Zweikämpfe gezogen zu werden. Wenn man sie zwingt, sind sie die Leute, die Leinenschuhe zu einem Madness-Konzert angezogen haben. Die Niederlande machte das ganz wie bairische Küche: rustikal und raffiniert in einem. Kein Knochenbrechen nötig, de Jongs Messer saß fest im Sattel oder so.

Irgendwann – recht bald leider – ist de Guzmans Navi ausgefallen und dann waren sie nicht mehr recht am Mann, zumindest nicht vor ihrer Viererkette; drei vier Mal schoben die Spanier die Bälle durch die Schnittstellen, wie man einen Kuchenansticht, um zu wissen, ob er schon gar ist. Der Fehler war ja nicht, dass de Vrij da seltsam wegrutscht und Costa da leicht eine wischt; dass der im 16er an den Ball darf, das ist schon ein Fehler.

Der Ausgleich fiel, haha, genau wie der Ball, hihi, aus heiterem Himmel. Wobei die Flugbahn der Flanke um einiges eleganter gewesen ist als jene von van Persie, der einen Hurz gesprungen ist: keine Kunst, aber zweckmäßig. Ein Freund erzählte mir einmal, er sei in der Wohnung seines Schwarms einmal – angetrunken und bis dato wenig ermutigt – von einem Sessel aus in das Bett gesprungen und habe dabei laut „Törööö!“ gerufen; an diese Sorte Eleganz musste ich denken, als ich van Persie seinen Hopser vollführen sah. Wäre der Untergrund Wasser gewesen, er htte drei Tage lang nicht auf dem Bauch schlafen können. Auch jener Freund, fürs Protokoll, war dann erfolgreich; obwohl nach seinem eingesprungenen Balzversuch ein Bettpfsten brach, was den Schwarm in ein Gelächter ausbrechen ließ, dass noch drei Straßenzüge weiter Gläser in den Schränken klirrten: die Beziehung hielt acht Jahre.

Ich trödele in meiner Erzählung, ich weiß schon, da bin ich offenbar Spanier; bisher habe ich noch nie ein positives Wort über Robben verloren, aber diese Ballannahme, diese Ballkontrolle: würde man das vertonen, es käme Mozart dabei heraus. Crême fraiche-weich löffelt er sich da an Piqué vorbei, um direkt in die Antizipation überzugehen; diese Schrittfolge, man muss sich halt den Kopf wegdenken, diese Tempoverschärfung, wie man fürs System zu sagen pflegt, das können nicht sehr viele (Götze kann das, Messi, Ibrahimovic, vielleicht noch zwei mehr, die mir gerade nicht einfallen). Man sieht, wie Piqué im Fallen schon denkt: Scheiße, heute bin ich Averell.

Es war dann schon ein heiliger Rausch, in den sich Holland gespielt hat. Spanien war wie der Tresenpartner, der einen während des Vollaufens erzählen und theoretisieren und abschweifen lässt: ein guter Kumpan, an den man sich unscharf erinnert am nächsten Tag, man hatte ja so sehr mit der eigenen Großartigkeit zu tun und auch den ganzen Abend selbst bestritten. Dass es einen dafür braucht, der theaterpublikumsgleich nur an der ein oder anderen Stelle einen kurzen Akzent setzt, daran denkt man nicht.

Klar gehört auch ein wenig Glück dazu; dass ramos (war doch Ramos, oder?) den Ball abfälscht, dass ein deutscher Schiedsrichter die Naturschutzzone für Torhüter eher englisch auslegt, dass der Ball arg ins Tor wollte, obwohl ihn de Vrij eigentlich getroffen hat, wie man ein Sofakissen trifft, wenn man sein Haupt bettet. Es waren, natürlich, unkontrollierbare Tore; und das ist der Verdienst der Niederländer, unkontrollierbare Momente gegen Spanien geschaffen zu haben. Wem ist das denn zuletzt gelungen? Es muss Jahrzehnte her sein. Das erste Spiel, an dem ich, hätte ich aufs Klo gemusst, in erwägung gezogen hätte, einfach unter mich zu machen, um ja nix zu verpassen. Und das am zweiten Spieltag.

So also muss der Rest der Welt geschaut haben, denke ich, als Deutschland England und Argentinien abfrühstückte. Ich freue mich auf morgen, mehr als normalerweise.