Chelsea. Hoffenheim.

Kürzlich Moneyball gesehen. Solider Film, bis auf das Ende. Interessanter wäre sicher gewesen, was Soderbergh hat machen wollen, halb Dokumentation halb Spielfilm, etwas, was mich nicht nur emotional auslastet. Aber Hollywood weigerte sich, zu kompliziert, und Soderbergh wollte nicht von seinen Ideen weg: er musste gehen, Miller hat übernommen. Aber verdammt, Soderbergh hat Recht: Wenn man schon die offene Entwicklung nicht hat, wie sie ein Match mit sich bringt, muss man sich Nostalgie reinholen. Man muss Sportfilme machen wie man Biografien schreibt: wehmütig, entdramatisiert. Als Melancholiker.

(Man müsste Miller verbannen dafür, dass er es schafft, aus hochkomplexen Scripten immer wieder das schlechteste rauszuholen, aus den Schauspielern aber das beste. Capote war schon grenzwertig, wobei es (vermutlich unfreiwillig) konsequent war, Philip Seymour Hoffman auf der Bühne Capotes Lebens und Liebens schlicht eine der beeindruckendsten schauspielerischen Leistungen der letzten zehn, fünfzehn Jahre liefern zu lassen; dass die Figuren unklar bleiben, dass die Tragik von Perry und Smith niemals spürbar wird, dass auch Capote nur durch Hoffmans Spiel, nicht aber durch die Geschichte verständlich wird in seiner Zerrissenheit; trotzdem bleibt der Selbstmord am Ende einer der abruptesten und am schlechtesten motivierten der Filmgeschichte. Es ist der eigentliche Witz von Moneyball, dass Miller Soderbergh abgelöst hat; denn Soderbergh wollte näher ran an Capotes Auffassung, dass man auch sehr nah an der Biografie entlang eine gute Geschichte erzählen kann. Miller hingegen sieht nicht die Geschichte, er sieht immer nur das Klischee; dass er eine Hand hat für Kameraführng und starke Bilder, macht das ganze nur schlimmer, denn es verleitet regelmäßig Kritiker zu glauben, seine Filme wären gut. Richtig ist: sie sind schlechter als ihr Stoff.)

Das Ende von Moneyball. So, wie der Film jetzt ist, ist es kitschig. Aber nicht zu kitschig: es ist, wie soll ich sagen, ziemlich französisch. Billy Beane stellt ein Baseball-Team nach Statistiken zusammen, statt auf althergebrachte Maßstäbe zu setzen, und nach anfänglichen Schwierigkeiten wird es erfolgreich; obwohl, nicht wirklich erfolgreich, das Team gewinnt keinen Titel, sondern bricht nur einige Statistikrekorde; Beane könnte, weil er relativ, im Sinne von: in Relation, erfolgreich ist, von einem großen Team mit vielen Mitteln abgeworben werden; er lehnt ab. Dem Film nach wegen seiner Tochter; wichtiger aber ist, dass man Brad Pitt, der Beane spielt, glaubt, sein Charakter habe keine Befähigung zum Glück; kein Talent zur Erfüllung. Das ist die Tragödie des Billy Beane; aber auch das, was ihn zu einem großen Charakter macht. Am Ende wird er nicht mit Geld belohnt, nicht mit dieser spontanen Spielart des Ruhms, den das Fernsehen bringt, er wird nicht mit der öffentlichen Anerkennung durch seinen Sport geadelt; er speist seinenRuhm nur dadurch, dass man Geschichten über ihn erzählt, Filme über ihn macht, dass man sich seiner erinnern wird.

Chelsea. Hoffenheim. Es ist ja nicht so, dass sie schlechten Fußball gespielt haben; im Gegenteil. Diese eine Hoffenheimer Vorrunde war fast ebensogut wie das, was Dortmund heute liefert, und die Duele zwischen Chelsea und Barcelona will ich weiß Gott nicht missen. Es liegt also nicht an der Substanz selbst, es liegt nicht am Fußball.

In Hoffenheim war ich einmal im Stadion, es ist fürchterlich. Das Problem ist nicht so sehr die fehlende Stimmung, ich schau mir auch Siebtligapartien an, da ist regelmäßig auf Begräbnissen mehr los; das Problem ist nicht die mit Lgen zugepflasterte Gegengerade; nein, das Problem ist, dass es zu viel Stimmung gibt. Man fühlt sich in Hoffenheim zu sehr an Stadion erinnert, man vergleicht unwillkürlich mit Erlebnissen in Frankfurt, in Lautern, auf Schalke oder in Dortmund.

Chelsea, Hoffenheim. Beide übermotiviert gestartet, mit viel Geld angereichert, als Projekt, als Simulation. Beides Vorhaben auf dem grandiosen Weg des Scheiterns, aber anders als in Moneyball, anders als Billy Beane: es gibt keine Größe in ihrem Scheitern. Es ist ein völlig banales Scheitern, als ob man zum Geburtstag einen Möbelgutschein bekommt und ihn zurückgeben muss, weil man einen Teppich haben will, und Teppiche nicht mit abgedeckt sind in dem Angebot. Es gibt keine Möglichkeit zur Melancholie bei diesen Clubs, nur Euphorie: deswegen können sie nur scheitern. Es gibt bei diesen Clubs immer nur ein „in guten wie in besten Zeiten“, kein Treuegelübde.

Man hat die Kritik an Hoffenheim, an Chelsea oft missgünstig genannt, und rückwärtsgewandt, weil gegen die Kommerzialisierung des Sports gerichtet, die ja ohnehin nicht aufzuhalten ist. Dabei ist Hoffenheim der wahrscheinlich unkommerziellste Verein der Bundesliga; sie haben nämlich nichts, was sie vermarkten könnten, keine Fans, keine Vergangenheit, keine Identität. Keine Geschichte, nur ein kaum auscolorierter Entwurf.

Was wahrscheinlich weder Hopp noch Abramowitsch so sehen; es ist noch nicht mal das Geld, das fantasielos macht, sondern der Glaube, Größe entstehe durch Erfolg. Ein Grundmissverständnis. Größe misst sich an der Fallhöhe, die man, wenn man scheitert, zu durchmessen hat. 1860 ist eine Tragödie, Hoffenheim ist eine Farce. Genauer: 1860 ist eine aus lauter Farcen zusammengesetzte Tragödie, die die Geschichte zusammengezurrt hat. Sollte Hoffenheim sich tatsächlich die nächsten 40, 50 Jahre oberhalb der Wahrnehmungsgrenze bewegen, wer weiß, vielleicht werden sie dann sowas wie Stuttgart. Bis dahin sind sie eine reine Pointe, ein Witz; man muss es ihnen selbst wünschen, dass sie regelmäßig und deutlich scheitern.