Der FSV Zwickau hat es bis ganz nach oben geschafft. Bis auf die Startseite von Spiegel Online. Die haben nämlich gegen Aue gewonnen. Gut, gegen Aue II, aber immerhin. Und das haben die dann gefeiert, in der Kabine. Und dabei haben sie alle ganz laut „Sieg, Sieg, Sieg“ geschrieen. Und zwischendrin dann einer „Heil“.

Und jetzt geht keiner ans Telefon. Keiner von den Verantwortlichen will mit Spiegel Online reden. Dabei ist das doch nun wirklich ein Skandal. Da muss jetzt dringend was passieren. Da müssen Köpfe rollen! Mindestens.

Ich habe wohl jahrzehntelang nach Spielen in Umkleidekabinen gesessen, und zwar in den letzten Dorfvereinen, hinter sieben Hügeln, über sieben Seen, wo die Sonne der Berichterstattung nie hingeschienen hat. Wie oft hab ich da Nazisprüche gehört? Oder Hitlerwitze? Oft. Nicht wöchentlich, aber monatlich bestimmt. Und das im Alltag, einfach so, aus keinem Grund. Weil es ging. Manches davon war, oh Himmel, sogar witzig. Anderes plump. Immer war es unüberlegt. Aber eines war es nie: ideologisch. Ich weiß sicher, dass wir damals keine überzeugten Nazis in den Mannschaften hatten. Nicht einen. Unser Torwart, der am meisten Sprüche in die Richtung rausgehauen hat, hat später APPD gewählt.

Es scheint durchaus so zu sein, dass die Zwickauer Kurve ein Problem mit Nazis hat. Vielleicht hat sie auch nur ein Problem mit rechten Parolen. Jedenfalls sind da echte Arschlöcher in der Kurve, die seit Jahren willkürlich Spielabbrüche provozieren, gegen Borea Dresden zum Beispiel. Platzstürme, Gewalt, man kann sie nicht in Schutz nehmen, selbst wenn man wollte [siehe Kommentare]. Hat das was mit dem Heil-Rufer zu tun? Ich weiß es nicht. Spiegel Online sagt dazu nichts.

Das mit den Platzstürmen und der Gewalt geht seit Jahren so. Ich erinnere mich an einen heulenden Vereinspräsidenten, vielleicht vor fünf Jahren, der wegen der Fans zurückgetreten ist, vor laufender Kamera, weil er nicht mehr konnte. Ich erinnere mich deswegen daran, weil mich das so fassungslos gemacht hat wie selten ein Fernsehbericht. Das brach einfach so aus ihm raus, die Tränen, die Worttrümmer, die ganze Enttäuschung. Der war so schutzlos vor dieser Kamera, wie RTL seine Darstelleropfer immer gern hätte.

Und worüber wird dann geschrieben? Über einen Spieler, der kurz mal „Heil“ zwischenreinschreit. Das mag ja Teil des Problems sein. Und es ist gut, dass nach Aufdecken der Beate-Uwe-Fraktion eine Sensibilisierung stattgefunden hat. Es ist nicht so gut, dass jetzt jeder Journalist den Simon Wiesenthal in sich entdeckt. Denn auch das ist Teil des Problems.

Tatsächlich ist es so, dass Zwickau wie einige Städte ein Problem mit militanten Nazis hat. Nicht erst seit gestern, und auch nicht erst seit vorgestern. Dieses Problem ist Normalität geworden. Es gibt tatsächlich national befreite Zonen im Osten, wo kein Ausländer mehr hinzieht, und niemand, der ansatzweise links aussieht, keine Erfahrung mit rechtsextremer Gewalt hat. Diese Zonen gibt es jeden Tag, aber darüber geschrieben wird nur dann, wenn irgendwas passiert ist. Oder immerhin: ein bisschen mehr als nichts.

So wie jetzt in Zwickau. Da gab es diese Terrorzelle. Sie hätte auch genausogut in Dortmund, Berlin oder Rostock Unterschlupf finden können, auch so Städte mit herben Naziproblemen. Aber statt das zu thematisieren, wird mit dem Brennglas das Ereignis gesucht, selbst wenn es keines ist: einer hat „Heil“ gerufen. Super, Startseite. Was davon übermorgen übrig ist: ist doch egal.

Momentan ist Bernd Wagner ein gefragter Interviewpartner. Auch bei Spiegel Online. Bernd Wagner, einer der Mitgründer von Exit. Exit ermöglicht es Leuten, aus der Naziszene auszusteigen. Es ist nicht so lange her, da stand Exit vor dem Aus. Wegen der formalen Hürden. Und weil Gelder immer nur im Jahresrhythmus vergeben werden. Langfristige Planung – is nicht. Leute, die sich engagieren, um Großartiges auf die Beine zu stellen, aber keine Qualifikation im Umgang mit Behörden haben – is nicht. Aber wenn dann doch was ist, etwas nämlich, was diese Leute haben kommen sehen, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, dann kriegen sie wieder Geld. Für ein Jahr. Und dann stehen sie wieder vor dem Aus.

Das ist übertrieben? Nein. Es gab genau diese Scheiße schon einmal, zum „antirassistischen Sommer“, Zitat Gerhard Schröder. Im Jahr 2000 war das, Ältere werden sich erinnern. Und was ist davon übrig geblieben?

Aber scheiß drauf, 2020 wird ganz sicher in irgendeiner Umkleidekabine irgendein Idiot einen Satz sagen, der Startseitenpotential hat. Aber nur, wenn davor wieder irgendetwas furchtbares passiert ist. Und genau das sollte sich ändern. Meinetwegen durch eine feste Rubrik, oder einen Kolumnisten, der sich nur damit beschäftigt. Oder sonst irgendwas. Irgendwas, was sich nicht morgen versendet hat.

Aber so. Einer hat „Heil“ gesagt. Die einzig richtige Antwort darauf wäre: „Gesundheit.“