Seit kurzem muss ich immer an Kitty-Kaffeebecher denken, wenn ich Franz Beckenbauer höre. Wahrscheinlich wegen Verdrängung. Irgendwann habe ich nämlich beschlossen, aufzuhören mich aufzuregen, wenn Franz Beckenbauer wieder im Fernsehen spricht. Es bringt ja nichts, hab ich mir gesagt. Es ist ja höchstens ein Fall für den Tierschutz, wenn der olle Weißbierzausel vor sich hinflötet, als hätte er am Morgen eine Überdosis Trill-JodS11 im Kaffee gehabt.

Ich dachte: Scheiß drauf. Nimm ihn, wie er ist. So, wie Du die fürchterlich eindimensionalen Tatort-Nebencharaktere hinnimmst, die für den Lokalkolorit zuständig sind. Genau so ist er doch: hat nur unsinnige Textzeilen, die die Handlung aufhalten, und spricht immer leicht in den Dialekt hinein. Nicht richtig Bairisch, aber immerhin, mit besonderem Zungenschlag. Nimms mit Humor, verdammt, es ist zwar idiotisch, aber nicht ganz so idiotisch wie das, was Pofalla den ganzen Tag von sich gibt.

Und dann habe ich mich an den Hello Kitty-Kaffeebecher erinnert und begriffen. Meine Mitbewohnerin hatte so einen. Da war nicht nur eine Abbildung vorne drauf, nein: eine kleine, völlig überflüßige Figur lugte über den Rand. Tinnef eben.

Überflüßig, aber ganz und gar nicht nebensächlich. Im Gegenteil, das wichtigste an diesem Kaffeebecher war die Figur. Bevor sie diesen Becher besaß, trank sie ihren Kaffee wie jeder andere Mensch aus einem Hohlbehältnis mit Henkel dran, gleich welcher Farbe und Provenienz. Aber seit sie diesen Becher ihr eigen nannte, wars vorbei mit der freien Tassenwahl. Immer musste es dieser Hello Kitty-Becher sein, ja, lieber hätte sie sich den brühend heißen Kaffee direkt in den Schlund gekippt, statt auf eine Alternative zurückzugreifen.

Besonders erstaunlich war das, weil dieser Becher völlig unfunktional war. Nicht nur, dass er kaum sauberzubekommen war, nein: wenn man ihn falsch hielt, lief man Gefahr, sich die spitzen Katzenohren durch die Netzhaut zu rammen. Ein paar Millionen Jahre Evolution, um sich am Ende bei Kaffee und Kuchen ein Auge auszustechen.

Oder Beckenbauer zuhören. Früher hatte ich die Hoffnung, dass vielleicht einmal einer von der Redaktionsleitung mit reinhört, um festzuhalten, was Beckenbauer so von sich gibt. Und vielleicht tatsächlich einer feststellt, dass Beckenbauer entweder Sätze vom Informationsgrad der letztmonatigen Wetterprognose für gestern von sich gibt, oder, wenn er spezifisch wird, häufiger daneben liegt als Hans-Peter Uhl.

Ich saß da einem Irrtum auf: Erstens braucht es keine Redaktionsleitung, denn Journalismus gibt es nicht in der Fußball-Liveberichterstattung. Journalistische Maßstäbe spielen keine Rolle, man lässt sich die Bilder diktieren, die Interviewsituation, die Interviewfragen, und was auf dem Feld passiert ist, lässt man Experten und Spielteilnehmer interpretieren. Den Anspruch, das Geschehen einzuordnen, hat man längst aufgegeben, man versendet es, das wars.

Das kann man nun schlecht finden oder nicht, ich persönlich finde das nicht so schlimm, denn das Fernsehen taugt nicht besonders zu Analyse und Relexion und ist auch sonst nur sehr selten ein gutes Medium für Journalismus. Aber dann könnte das ganze doch ansatzweise unterhaltsam sein! Wenigstens das! Stattdessen muss der bedauernswerte Wolf-Christoph Fuß bei Sat.1-Übertragungen alle viertel Stunde den vermutlich sanft schlummernden Franz Beckenbauer dazu nötigen, auswendig Sätze aufzusagen, die er vor Jahrzehnten von Wim Thoelke gelernt hat.

Beim Auszug hab ich mich dann getraut und die Mitbewohnerin gefragt, warum sie denn so einen Hello Kitty-Kaffeebecher habe. Drei Gründe, hat sie gesagt: Erstens, er ist bescheuert. Er ist sogar so bescheuert, dass niemand, den ich kenne, so einen hat. Nur ich. Zweitens wird sich jeder, der in dieser Küche war, an diesen Hello Kitty-Becher erinnern, egal, ob wir über Haltbarkeitsspannen von Acrylfarben oder den Tod eines Elternteils gesprochen haben. Und drittens, wenn Du je über mich schreibst, dann nicht darüber, dass ich mal ein Brot von beiden Seiten mit Leberwurst bestrichen habe oder dass ich Assymetrie nicht buchstabieren kann, sondern über diesen bescheuerten Becher, und ich weiß genau, wie sehr Dich das aufregen wird.

Ja, die Mitbewohnerin. Sie ist eine weise Frau. Verdammt nochmal!