Die Zahlen: In der Saison 2009/2010 sind in deutschen Stadien 35 Personen durch Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz verletzt worden. 424 Straftaten wurden registriert, 132 Täter festgenommen. Konsequenz: Anzeige und bundesweites Stadionverbot. Welche Verletzungen durch Knallkörper oder Böller verursacht wurden und welche durch Pyros, ist nicht nachzuvollziehen.

Die Debatte: angemessen hitzig. Man merkt das schon daran, wie sehr sich die Kontrahenten mit Bildern zudonnern. Jekylla beispielsweise illustriert ihren Beitrag zum Thema zum Schluß mit einer halbabgerissenen Hand, Folge eines Böllerunfalls. Befürworter binden ganz gerne Fotos und Youtube-Videos von Fankurven ein, die beeindruckende Choreos zeigen. Die Irritationen, die das beim Gegenüber auslösen muss, hat mauriciusq für die eine Seite so zusammengefasst:

Was mich aber auch extrem irritiert ist die Überemotionalität mit dem die Forderung nach Legalisierung oft vorgetragen wird. Auch auf der quasi „offiziellen“ Seite Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren. Was ist denn bitte an Pyrotechnik emotional? Ich bin seit Jahren im Stadion emotional ohne einmal Pyro in der Hand gehabt zu haben.

Man kann das Argument so zusammenfassen: Warum seid ihr so? Wo ich es doch nicht bin! Auf genau die Weise, wie hier Emotionalität kritisiert wird, wird die Debatte emotionalisiert. (Das gilt übrigens für sehr, sehr viele Beiträge zum Thema, mauriciusq hat es nur besonders pointiert zusammengebracht.)

Die Bewertung: Gestern, im ZDF, hat man dazu zwei Stimmen gehört: Bei Hoffenheim – Köln (ich glaube, Claudia Neumann wars) klang das ganze sehr entspannt, da brannten die Pyros der Kölner als Fanal gegen das Hoffenheimer Eventpublikum, und wenn mich nicht alles täuscht, fiel auch das Wort „stimmungsvoll“. Wolf-Dieter Poschmann hingegen sprach fortfährend von Chaoten, die ja nun wirklich keine Fans seien, und die er vermutlich viel lieber Verbrecher genannt hätte.

(Kleiner Einschub: Die Moral des Fernsehens entlarvt sich hier als Doppelmoral: Während der Kommentator „Sowas wollen wir nicht sehen“ ruft, hält der Kameramann voll auf die Pyros drauf, damit wir auf jeden Fall sehen, was wir nicht sehen wollen sollen. Das ist gerade dann besonders witzig, wenn Poschmann einen auf hochinteger macht.)

Die Vorgeschichte: Dass es jetzt zu massiven Problemen mit Ultra-Fangruppen kommt (und obendrein zu von der Polizei beklagten Solidarisierungen der Fans gegen die Ordnungsmacht), verwundert weniger, wenn man weiß, was zuvor hinter den Kulissen vor sich ging. Es gab vor der Saison Gespräche zwischen der Initiative „Pyrotechnik Legalisieren“ und dem DFB, während derer sich die Fans verpflichteten, zu Beginn der Saison auf Pyros zu verzichten: bis auf ein Spiel (Heidenheim – Bremen) hielten sich die Gruppen daran. Danach sollte es geschützte Bereiche im Stadion geben, wo legal Pyros abgebrannt werden können. Der Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn nannte das Konzept der Initiative „eine sehr seriöse Gesprächsgrundlage“, es gab schon ein abgesegnetes Pilotprojekt in Hannover, H96-Vorstandschef Martin Kind fand die neue Pyrotechnik aus seiner Sicht „ungefährlich“, Feuerwehr und Polizei auch. Aber Spahn verließ den DFB, und sein kommisarischer Nachfolger Helmut Sandrock kippte die Projekte. Wie der jetzt eingesetzte Hendrik Große Lefert mit dem Thema umzugehen gedenkt, ist noch nicht sicher raus: Er hat jedenfalls schonmal ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben und will auch sonst „weiter aufklären“. Kurzum: bisher haben sich nur die Fans bewegt, und vielleicht chaotisch, jedenfalls bemerkenswert intransparent sind eher die Entscheidungsfindungen des DFB.

Die Strategie des DFB ist durchsichtig: man versucht, einen Teil der Fans zu kriminalisieren und vom Rest abzuspalten. Diese Strategie verfolgt man nun seit einiger Zeit, zum Teil mit drastischen Strafandrohungen, deren Verhältnismäßigkeit unhinterfragt bleibt. Man scheint davon auszugehen, dass eine weniger repressive Haltung gegenüber Pyros zu einem noch harscheren Anstieg von Verletzten führen wird. Als ob sich die Ultras denken: Alter, Papa hat Pyros erlaubt, dann nehmen wir jetzt die guten chinesischen Böller. Aber die Gleichsetzung von Böllern und Pyros scheitert daran, dass die Motive völlig unterschiedlich sind: Niemand zündet Pyros, um damit seinen Nebenmann zu verbrennen. Ein Böller aber soll die anderen durchaus in Mitleidenschaft ziehen.

Jetzt wundert man sich jetzt, dass es keine Selbstregulierung innerhalb der Kurven mehr gibt. Dass die sich verarscht vorkommen und nicht den langen Arm des Gesetzes machen wollen, könnte man nachvollziehen; mindestens sollte man es zur Kenntnis nehmen.

[Update: Tinnef war vor Ort.]