1. Aus dem Bildartikel:

Friedrich zu Moderator Dominik Vischer: „Es ist schon sehr komisch, wenn man im Internet Namen als Suchwörter eingibt und da steht dann direkt ’schwul‘ dahinter. Ich bin seit zehn Jahren mit meiner Freundin zusammen und sehr glücklich.“

Hintergrund: Gibt man die Suchbegriffe „Arne Friedrich schwul“ in die Suchmaschine Google ein, erhält man über 70 000 Suchergebnisse. Bei Bayern- und DFB-Kapitän Philipp Lahm (der ebenfalls mit Gerüchten zu kämpfen hat), spuckt das Internet sogar mehr als 130 000 Ergebnisse aus.

Ja. Und wenn man „Adolf Hitler schwul“ eingibt, dann kommt Google auf 168.000 Ergebnisse. Damit ist er aber noch längst nicht so schwul wie Barack Obama (4.440.000 Ergebnisse) oder Osama bin Laden (28.000.000). Am allerschwulsten ist die Bild selbst, 19.700.000 Ergebnisse. Und wenn ich meinen eigenen Namen eingebe, sind es 902.000 Ergebnisse. Ein lustiges Spiel!

Nun ist ja jedem in Deutschland mit Ausnahme Arne Friedrichs klar, dass Anzahl der Suchmaschinentreffer allein kein Indikator ist, für was auch immer. Der Arme scheint nicht verstanden zu haben, dass jetzt, nach dem Bekenntnis, die Trefferanzahl rapide steigen wird: schließlich stehen jetzt noch viel mehr Artikel im Netz, die die Wortkombination ‚Arne Friedrich‘ und ’schwul‘ beinhalten. Und das ausgerechnet jetzt, wo er doch eh nicht mehr spielt und damit auch keine Schlagzeilen mehr generiert. Wenn er also wollte, dass Google in für weniger schwul hält, war das ein Rohrkrepierer.

2. Der Spiegel des Narziss

Aber interessant ist es schon, dass Arne Friedrich Google braucht, um sich seiner Identität zu versichern. Ich stell mir das so vor, dass er Abends mit einem Glas Rotwein und einer Packung Mon Chérie vor dem Rechner sitzt, seinen Namen ins Suchfeld eingibt, kurz stutzt, als „schwul“ bei der Anfrage ergänzt wird und dann empört nach seiner Freundin ruft: „Schatz, glaubst Du, ich bin schwul?“ Zweifelnd sieht er sich im Zimmer um, schüttet den Rotwein in den Abfluss, packt die Mon Chéries in den Müllschlucker und schreit: „Schatz, ab heute gibts nur noch Weißbier und Saumagen! Und den Twingo verkaufen wir auch, ich will nen Mercedes. Und Schnurrbart!“

Das Internet ist für Prominente ein Problem. Prominenz ist eine Konsequenz aus dem Fernsehen. Im Fernsehen geht es nicht so sehr um Inhalte, als viel mehr um Präsenz. Man geht ins Fernsehen, nicht, weil man etwas zu sagen hat, sondern weil man gesehen werden möchte. „Der Bildschirm wurde auf diese Weise eine Art Spiegel des Narziss, eine Stätte narzisstischer Zurschaustellung“, schreibt Pierre Bourdieu, und diese narzistische Selbstbespiegelung wird empfindlich gestört, wenn das Medium plötzlich zurückkomuniziert.

3. Der Bumerang

Deswegen ist es so albern, wenn Arne Friedrichs Freundin jetzt glaubt, die Spekulationen hörten auf, bloß weil sie das ein für allemal klargestellt hat. „Ich habe keine Lust irgendetwas zu rechtfertigen“, sagt sie, um sich zu rechtfertigen. Es gibt im Internet kein Basta, kein Machtwort, das die Diskussion beendet, auch nicht, wenn man es in herkömmlichen Medien verbreitet.

Aber der Reihe nach: Pierre Bourdieu formuliert die Fragen, die man sich vor einem Fernsehauftritt stellen sollte, so: „Geht das, was ich zu sagen habe, jeden an? Bin ich bereit, meine Rede formal so zu gestalten, dass alle sie verstehen? Soll sie überhaupt von allen verstanden werden?“ Geht es jeden an, ob Arne Friedrich auf Männer steht oder auf Frauen oder beides? Sicher nicht. Das ist sein Privatleben. Das muss man nicht erklären, nur leben. Wenn er aber jetzt sein Privatleben in der Öffentlichkeit ausbreitet, macht er es öffentlich. Es ist naiv, ein Foto von seinem Schlafzimmer rumzuzeigen und gleichzeitig zu sagen: Das dürft ihr nicht sehen. Und albern ist es auch. Und irgendwie hilflos. Und genau diese unsouveräne Hilflosigkeit wird es sein, die die Berichterstattung nicht aufhören lassen wird, die Reaktionen hervorruft.

4. „Was sagt das über unsere Geselschaft aus?“

„Was ich an der ganzen Diskussion als am Schlimmsten empfinde“, schreibt Friedrichs Freundin Linn Rödenbeck, „ist die Art und Weise, in der über das Thema gesprochen wird. Es stellt Homosexualität als etwas Widernatürliches oder Schlechtes dar. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?!“

Andersrum wird ein Schuh draus: Warum muss man sich davon distanzieren, schwul zu sein? Wie viel großartiger hat Mehmet Scholl damals reagiert, als er bei Harald Schmidt einst sagte, bei den Bayern gäbe es einen Homosexuellen, und als Schmidt fragte, wer das denn sei, Scholl antwortete: „Wenn Du mir einen Kuss gibst, nenn ich ihn Dir.“

Was diese Debatte tatsächlich über unsere Geselschaft aussagt, ist vor alle, mit welchen Eigenschaften man Schwule identifiziert. Wie kommt man darauf, dass Friedrich und Lahm schwul sein könnten, oder Jogi Löw und Klose? Wer sich diese Gründe aufzählen lässt, hat die ganze Palette an Vorurteilen, die man gegenüber Homosexuellen nach wie vor hegt: weich, unbeständig, ein wenig intellektuell, gut gekleidet, nicht doof, eher für leise Töne zu haben, und so weiter. Dabei haben Outings nach der Karriere häufig gezeigt, dass sich Schwule während ihrer aktiven Zeit überassimilieren: dass sie besonders hart, besonders männlich, besonders rauh daherkommen, damit niemand auch nur auf den Verdacht kommt, wie sie seien keine Heteros.

5. Die Zukunft

Wahrscheinlich eher Rosa von Praunheim als Klaus Wowereit. Diese Debatte und die Distanzierungen von Lahm und Friedrich haben sicher nicht dazu geführt, dass sich demnächst einer hinstellt und sagt: „Mein Gott, ich steh auf Männer, und jetzt fickt euch.“ Praunheim hatte 1991 in einem Fernsehinterview völlig unvermittelt eine ganze Menge Leute geoutet, Hape Kerkeling zum Beispiel und Alfred Biolek auch. Später hat er das so begründet: „Outing ist ein Verzweifelungsschrei in einer desolaten Situation. Wir brauchen die Hilfe von Prominenten, die uns zeigen, daß wir nicht allein sind. Wir brauchen die Presse, die über Schwule nicht nur berichtet, wenn sie ermordet wurden. Wir brauchen positive Leitbilder, auch wenn es Schlagersternchen sind.“

Kurzfristig hat das Outing zu einer Menge persönlicher Katastrophen und Anfeindungen geführt, für beide Seiten. Kerkeling selbst hat später den Rummel, der folgte, so kommentiert: „Sensiblere Naturen als ich hätten sich jetzt wahrscheinlich mit dem Fön in die Badewanne gelegt. Was soll’s. Morgen werden sie eine andere Sau durchs Dorf treiben.“ Und auch Praunheim war ein Opfer.

Der Befreiungsschlag (sinngemäß von Biolek) hat sich im Nachhinein als richtig erwiesen: wahrscheinlich wird er das im Fußball auch sein. Aber weiß Gott, man möchte nicht mit jenen tauschen, die geoutet werden könnten (und die selbst wohl die gleichen Überlegungen im Kopf haben). Und jedes Anti-Outing verschlimmert die Situation.

Arne Friedrich hat (natürlich) betont, dass er nichts gegen Schwule habe, einige seiner Freunde und so weiter. Hoffentlich treten die ihm für seinen Auftritt ordentlich in den Hintern.

[Update: Weniger verkopft und unterhaltsamer zum Thema: Lizas Welt.]